«Wo geht es zum französischen Bahnhof?»

«Wo geht es zum Französischen Bahnhof?» fragt der Mann mir gegenüber, als der Zug im Basler Bahnhof SBB einrollt. Auf Englisch erklärt der ungefähr 25-jährige Afghane, er wolle weiter nach Paris zu seiner Familie.

Von Wolf Südbeck-Baur

Der Bahnhof SBB mit dem französischen Bahnhofteil ist ein Knotenpunkt für Grenzübertritte nach Frankreich und umgekehrt und wird deshalb von Grenzwächtern beider Länder kontrolliert. Wir wollen den Schweizer Zoll passieren, doch die mit schusssicheren Vesten ausgestatteten Grenzbeamten stellen sich wuchtig pflichtbeflissen in den Weg. «Papiere bitte!» Der Afghane wird in einen anderen Raum geführt, wo sich rasch herausstellt, dass er keine Papiere hat. Deshalb ist die Einreise nach Frankreich gemäss den gesetzlichen Vorschriften nicht möglich, auch wenn die Schweizer Behörden die Weiterreise der Flüchtlinge in Nachbarländer, entgegen dem Dubliner Abkommen, gerne sehen.

Nun bin ich an der Reihe. Die Beamten mustern mich und meine ID, lassen sie durch ihre Systeme laufen und fragen, woher ich den Mann kenne? Natürlich kenne ich den zufälligen Sitznachbarn erst seit der Zugfahrt an jenem Oktobertag, etwa zwei Wochen nach dem Hamas-Angriff auf einen israelischen Kibbuz. Offensichtlich misstrauisch und in gebieterischem Ton weisen sie mich auf die Gesetzeslage hin, nach der Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt den Tatbestand eines Schleppers erfülle und eine Strafklage nach sich ziehen könne.

Aha, denke ich, wer heutzutage Menschen auf der Flucht mit etwas Hilfsbereitschaft begegnet, bekommt den strengen Arm des Gesetzes zu spüren und wird behandelt fast wie ein krimineller Schlepper. Auch wenn der Grenzwächter am Zoll zum Französischen Bahnhof uns schliesslich unbehelligt gehen liess, vergass er nicht den drohenden Hinweis, dass ich im Wiederholungsfall mit einer Strafklage zu rechnen hätte.

Beschämt, bestürzt und für den Moment doch erleichtert trafen wir in der Bahnhofshalle auf eine Kundenservice-Beraterin der SBB, die eine einfache Lösung ohne ein allzu grosses Risiko einer neuerlichen Ausweiskontrolle parat hatte: das Tram nach St. Louis. Nach den letzten Informationen ist der Afghane inzwischen in England eingetroffen.

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