Zum Rücktrittsangebot von Kardinal Marx

Kirchenexperte Thomas Schüller sieht in dem Schritt des Kardinals die Grösse zeigende Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung.

Bild: katholisch.de

Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat Papst Franziskus um seinen Rücktritt gebeten. In einem vom Erzbistum München und Freising veröffentlichten Brief an den Papst legte der Kardinal seine Gründe für diesen Schritt dar. Unter anderem wolle er auf diese Weise Mitverantwortung für „die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs“ tragen. Kirchenexperte Prof. Dr. Thomas Schüller von der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster schätzt für Sie ein, was dieses Rücktrittsangebot für die Kirche bedeutet:

Prof. Dr. Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät:

Kardinal Reinhard Marx übernimmt mit diesem aufsehenerregenden Schritt einerseits persönlich Verantwortung für seine Versäumnisse als Bischof von Trier und als Erzbischof von München-Freising, was die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch angeht. Andererseits attestiert er der deutschen Kirche und seinen bischöflichen Mitbrüdern, dass sie an einem toten Punkt angekommen sind.

Er wünscht sich Übernahme von Verantwortung, Umkehr und den Mut zu wirklichen Reformen. Er greift Kardinal Rainer Maria Woelki frontal an, wenn er von denen spricht, die sich hinter juristischen Gutachten verstecken und nicht bereit sind, die systemischen Ursachen der sexualisierten Gewalt in der Kirche mit mutigen Reformen anzugehen. Diese Botschaft geht auch direkt an Papst Franziskus: Wenn Du Franziskus Reformen willst, dann bleibt im Blick auf die sexualisierte Gewalt in der Kirche kein Stein auf dem anderen. Sei so mutig wie ich und stosse endlich Reformen an. Alle deutsche Bischöfe werden sich nun an dieser souveränen und Größe zeigenden Bereitschaft zum Amtsverzicht und damit zur Übernahme von Verantwortung messen lassen müssen. Kardinal Reinhard Marx ist für seine Entscheidung großer Respekt zu zollen und zu danken.

Er wünscht sich Übernahme von Verantwortung, Umkehr und den Mut zu wirklichen Reformen.

Prof. Dr. Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster.

4 Gedanken zu „Zum Rücktrittsangebot von Kardinal Marx“

  1. Kardinal Marx ist nicht zurückgetreten.
    Er hat seinen Rücktritt angeboten und überlässt nun dem «Heiligen Vater» die Entscheidung.
    Für mich offenbart genau diese Formulierung, wo wir in der römisch-katholischen Kirche stehen.
    Das heuchlerische Gerede von «Dienst» und «Demut» verschleiert die wahren Machtverhältnisse bis hinein in diesen Pseudo-Rücktritt. Wo «Väter» entscheiden müssen und nicht erwachsene Männer zu ihrer Machtfülle stehen und
    diese auch eigenverantwortlich loslassen können, entsteht genau jener Raum, der Machtmissbrauch begünstigt und ermöglicht. Und sexueller Missbrauch ist nichts anderes als Machtmissbrauch in Form sexualisierter Gewalt.

    Die Reformen die wir bräuchten, sind von so tiefgreifender Natur, dass mir die Hoffnung nahezu ausgegangen ist.

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  2. Der Reihe nach

    Marx ist nicht zurückgetreten, der angebotene Amtsverzicht betrifft nur seine seine Leitung der Erzdiözese München und Freising, nicht seinen Kardinalsrang. Zugleich hat er den Papst um die Zuweisung einer anderen Aufgabe gebeten. Das Letztere könnte denken lassen, dass er noch Höheres im Sinn hat, bestimmt aber nicht, die Stelle eines Hausgeistlichen in einem Nonnenkloster einzunehmen.

    Seine Angriffe gegen Woelki sind unanständig; denn er übergeht, dass in noch keiner Diözese in Deutschland so gründlich die Untersuchungen wegen Missbrauchs stattgefunden haben wie zu Köln, wobei man dort für ein derart umfängliches Verfahren noch dazulernen musste; es gab keine hinlänglich tauglichen Muster.

    Zu „München und Freising“ ist noch nichts derartiges geschehen, auch noch nicht zu Trier, wo Marx zuvor die Leitung der Diözese hatte und wo jetzt die Sichtung von Unterlagen anläuft.

    Von Demut kann bei Marx keine Rede sein. Das macht die Aufforderung an seine „Brüder“ im Bischofsamt deutlich, ebenfalls beim Papst den Amtsverzicht anzubieten; ein Ansinnen, um gegen Rom Verhandlungsmasse für seinen Synodalen Weg zu gewinnen.

    Ein unübersehbarer Machtanspruch beziehungsweise eine Selbstermächtigung.

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  3. Marx überlässt dem Bischof von Rom, seinen (neuen) Weg zu bestimmen, wie auch immer (s. Elke Kreiselmeyer).
    In den Pfarreien und Kirchgemeinden werden Pfarrer bzw. Bischöfe bei berechtigten und oft äusserst dringenden pastoralen Anliegen nach ihrem placet angefragt. Wenns ihm nicht passt, dann bleibt alles beim Alten. Die Macht bzw. die Angst vor dessen Verlust steht nach wie vor im Mittelpunkt.
    Und der synodale Weg, der angepriesen wird als Schritt hin auf eine gute Zukunft der Kirche, an den glaube ich nicht (mehr). Wie viele gute Synoden hatte wir schon, aber verändert haben diese kaum etwas. Die Strukturen der Kirche jedenfalls nicht.
    Auch mir geht es wie E.K.: Mir geht die Hoffnung auf positive Veränderung langsam verloren.

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    • Liebe Frau Zorell
      Das Problem liegt anderswo, nämlich beim katholischen „Fussvolk“.
      Malen Sie sich mal aus, was geschehen würde, wenn eine Kirchgemeinde einfach per Abstimmung eine weibliche Pfarrerin wählen würde oder wenn sie auf gleichem Wege dafür sorgen würde, dass z.B. sexuelle Übergriffe ohne wenn und aber von der weltlichen Gerichtsbarkeit behandelt würden, ohne sich um das placet der Geistlichen der verschiedenen Hierarchiestufen zu kümmern. Die Kirchensteuer bzw. die Weigerung diese zu bezahlen wäre ein äusserst wirksames Druckmittel um den Willen der Gläubigen durchzusetzen. Die Kirchen gelten in der Schweiz als Vereine und unterstehen demzufolge auch dem Vereinsrecht. Also selber denken statt denken lassen.
      M. Müller

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