Monika Renz contra Hans Küng: Ist geplante Selbsttötung Christen erlaubt?

Die Mehrheit der Schweizer ist für Sterbehilfe. Ärzte sollen sie leisten dürfen, wenn ein Patient unheilbar krank ist. Ist eine geplante Selbsttötung aber auch Christen erlaubt? Darüber streiten der Theologe Hans Küng und die Sterbebegleiterin Monika Renz online in einem aktuellen Pro-und-Contra*. Und was denken Sie? Darf ein Christ sich töten? Stimmen Sie hier ab.

Von Hans Küng, Monika Renz


Hans Küng: »Ja, der Mensch hat ein Recht zu sterben«

DSC_0013

»Als Theologe und Christenmensch bin ich der Überzeugung, dass das menschliche Leben letztlich eine Gabe Gottes ist. Aber zugleich ist das Leben nach Gottes Willen auch des Menschen Aufgabe. Es ist in unsere eigene Verfügung gegeben. Dies gilt auch für die letzte Etappe des Lebens, das Sterben. Niemand soll zum Sterben gedrängt, aber auch niemand zum Leben gezwungen werden. Selbstverständlich soll der Mensch die »Grenze seiner endlichen Freiheit achten«, wie Altbischof Wolfgang Huber sagt. Aber die Frage ist ja gerade, welches diese Grenze ist. Die Entscheidung liegt allein beim Betroffenen. Ich empfinde es als Anmaßung, wenn Außenstehende darüber urteilen wollen, wie jemand seinen Zustand subjektiv empfindet.

Oft höre ich den Einwand: Heißt Jesus nachfolgen nicht auch, sein Leiden und Kreuz bis zum Ende auf sich zu nehmen? Dagegen war meine Auffassung schon vor vierzig Jahren im Buch »Christ sein«: Kreuzesnachfolge meint nicht ethische Nachahmung des Lebensweges Jesu. Es geht darum, sein eigenes Kreuz auf sich zu nehmen, sich dem Risiko der eigenen Situation zu stellen. Kreuzesnachfolge und Sterbehilfe schließen sich also nicht aus.

Ich verteidige und plane keinen Selbstmord: Auch am Ende eines Lebens läge Mord nur vor, wenn er aus niedriger Motivation, aus Heimtücke und durch Gewalt gegen den Willen des Betroffenen geschieht. Aber ich nehme meine Verantwortung wahr für mein Sterben zu gegebener Zeit. Eine Verantwortung, die mir niemand abnehmen kann. Gott schenkt mir, so hoffe ich, die Gnade, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen. Der späteste wäre für mich eine beginnende Demenz. Denn der Mensch hat ein Recht zu sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf humanes Weiterleben. Und er muss ein Recht darauf haben, dass ein anderer ihm beim Sterben hilft, wenn es nötig wird.«


Monika Renz: »Nein, Sterben kreist um Größeres«

Monika_Renz Porträt

»Macht, Liebe und das Zulassen von Angewiesensein: Das steht beim Thema Sterbehilfe zur Debatte, auch wenn es keiner merkt.

Es geht nicht um den Verzweiflungstod. Es steht außer Frage, dass auch Christen in eine so schlimme Situation kommen können, dass sie sich töten. Wir anderen dürfen dann nicht über sie richten. Die Abschaffung der Strafwürdigkeit des Freitodes ist eine Errungenschaft der Aufklärung, auch für Christen.

Doch beim Anspruch auf Suizidbegleitung haben wir es mit weit mehr zu tun. Menschen setzen sich über das Leiden hinweg, dirigieren unbemerkt das Spitalpersonal, machen Ärzte zu Exekutoren. Sie tätigen geplant einen Akt der Macht und würgen unter dem Deckmantel von Selbstbestimmung die eigene und gesellschaftliche Ohnmacht ab. Hunderttausende Kranke werden entwertet.

Wohlgemerkt: Auch ich will das Leid nicht. Doch wo wir dem Leiden ausweichen, verlieren wir in der Folge all das, was aus dem bejahten Angewiesensein erwächst an Empfänglichkeit, Beziehungsfähigkeit, Kreativität.

Und wir verhalten uns komplett quer zu Jesus! Jesus lebte und wirkte ganz aus der Beziehung zu Gott heraus und bezog von dorther seine Souveränität. Er ließ es zu, angewiesen zu sein. Als Antwort an die damals Mächtigen und ihr Mobbing ging er den Weg der Passion. Nicht masochistisch, sondern im Selbstbewusstsein eines Königs.

Ein Christ, der sich auf Jesus beruft, darf sich nicht geplant über einen Teil des Lebens hinwegsetzen. Er muss es auch nicht. Denn wie mich Sterbende lehren, kreist Sterben um Größeres, geschieht Wesentliches in diesem Prozess. Inmitten von Ohnmacht ist der Mensch außerhalb von Raum und Zeit und darin ›glücklich‹«.

Monika Renz, Theologin, Psychologin und Buchautorin, leitet die Psychoonkologie am Kantonsspital St. Gallen in der Schweiz. Seit vielen Jahren begleitet sie Menschen im Sterbeprozess.


Hans Küng ist emeritierter Professor für ökumenische Theologie in Tübingen und Ehrenpräsident der Stiftung Weltethos. 2013 trat er EXIT bei, der Vereinigung für humanes Sterben in der Schweiz.

Quelle: www.publik-forum.de

6 Gedanken zu „Monika Renz contra Hans Küng: Ist geplante Selbsttötung Christen erlaubt?“

  1. Persönlich, das heisst für mein eigenes Leben, ist mir die Haltung näher, auf die Dienste von Exit zu verzichten. Allerdings stehe ich in einem ganz anderen Lebensalter als Hans Küng. Die Argumentation von Monika Renz kommt mir etwas ‚inquisitorisch‘ daher. Ich glaube wirklich nicht, dass man Hans Küng auch nur ansatzweise den Vorwurf machen kann, er würde mit seiner Haltung zum Sterben dem ‚Leid‘ ausweichen wollen. Sein langes, gelebtes Leben spricht eine andere Sprache. Ich erachte es als eine Falle, das eigene Erleben dieser dramatisch ernsthaften Situation als das einzig richtige Erleben für alle anderen Christen vorzuschreiben. Ich glaube an einen Gott, der barmherzig ist und die Freiheit des Menschen will. Lassen auch wir den anderen die Freiheit, ihren eigenen Weg zu Gott zu gehen. Beat Schwab

    Antworten
  2. Ich persönlich hoffe und bete, eines Tages mein irdisches Leben in Ruhe und Würde und möglichst bewusst meinem Schöpfer wieder zurückgeben zu dürfen, aber nicht wann ICH will, und nicht so wie ICH will, sondern wann und wie ER mich ruft. Zur Nachfolge, zu der wir berufen sind, gehört doch auch das: „Wenn es möglich ist, aber nicht mein Wille sondern Dein Wille geschehe.“ Für mich ist dies eine Frage meiner Gottesbeziehung und damit meines Glaubens und meines Vertrauens. Diese Beziehung aber, diese Zurücknahme des eigenen ICH vor dem göttlichen DU, will das ganze Leben hindurch geübt sein. Dann, so bin ich überzeugt, fällt sie auch in schweren Stunden und schlussendlich in der Stunde meines Todes leichter.

    Antworten
  3. Hubert Krebser schrieb:
    14. Februar 2014 um 22:47

    Wenn ich zu gehen dran bin, dann will ich auch gehen, mich nicht sperren, auch nicht daran gehindert werden, erst recht aber auch keinen Tritt erhalten, wenn ich am Abgrund stehe.
    Also wenn ich von der Zeit in die Ewigkeit übergehe, nach meiner Zeugung (mit nachfolgender Geburt), – von der ich leider nichts weiß -, der wichtigste Augenblick meines Lebens, dann möchte ich dabei sein, nicht irgendwelchen Manipulationen ausgeliefert.
    Hat Hans Küng das gemeint, dann hat er mein Verständnis und meine Zustimmung!
    Doch meint er das, wenn er schreibt: „Ja, der Mensch hat ein Recht zu sterben.“ – Auf den ersten Blick scheint es dasselbe zu sein, was ich mir für mich vorstelle, doch das trügt, denn er befürwortet „Sterbehilfe“. Er verwendet für eine hässliche Sache einen Begriff, der sich an ein sonst angesehenes Wort hängt. In der Sache geht es hier jedoch nicht um Hilfe beim Sterben, sondern um Tötung, es geht um Tötung auf Verlangen und / oder Beihilfe zu Selbsttötung. (Diese Begriffe sind unschön, doch klar; kein Schmus.)
    Das grundlegende Problem ist immer die Rechtfertigung dieser Handlungen. Wenn man sich umsieht, wo die Uhren durch Gesetze schon vorgestellt sind, etwa in den Niederlanden oder in Belgien, dann ist die Rechtfertigung immer die, „dass dies doch kein Leben (mehr) sei“. – Und hier versagt Hans Küng als Christ.

    Antworten
  4. „In den Niederlanden sei das etwas ganz Anderes, durch Gesetz streng geregelt.“ Solch ein Gesetz ersetzt aber keine ethische Würdigung, schützt auch keine Alten, Kranken, Schwachen, wie eine amtliche Untersuchung an den Tag gebracht hat, nach der in den Niederlanden im Jahr 2003 mehr als tausend Menschen ohne ihr Wissen und Wollen getötet worden sind; Tötungen, die den Getöteten subtil von Angehörigen nahegelegt wurden, sind damit noch nicht mal erfasst. Aus Belgien sind Fälle bekannt von Tötungen in Verbindung mit „Organspende“; der wohl erste Fall war der einer nicht sterbenskranken Frau im Jahr 2008, der man „Euthanasie“ erst verweigert, dann aber zugestand, nachdem sie ihre Organe zur Entnahme angeboten hatte.
    (…) wenn in den Niederlanden, in Belgien und sonst wo ein Staat seinen Bürgern erlaubt, andere Menschen zu töten, wenn lediglich diese Bürger einen Spezialisten damit beauftragen. Es kommt in allen Fällen bloß darauf an, zu vermitteln, „dass dies doch kein Leben (mehr) sei“.

    (Ihr Kommentar wurde redigiert – wir haben unzulässige Passagen entfernt. Danke für Ihr Verständnis.

    Antworten
  5. Es ist Albernheit, zu leben, wenn das Leben eine Qual wird, und wir haben die Vorschrift zu sterben, wenn der Tod unser Arzt ist.
    Shakespeare

    Weshalb ich Mitglied einer Sterbehilforganisation bin:
    Unsere Existenz endet nicht mit dem Tod sondern geht unvermittelt weiter. Das steht zweifelsfrei fest, also gibt es keinen Grund dieses Leben in einem zerfallenden Körper zu verlängern.

    Ich will nie jemandem zur Last fallen, weder Familienmitgliedern noch Pflegepersonal. Auch das allenfalls noch vorhandene Ersparte darf keinesfalls für überflüssige Pflegekosten verschleudert werden. Sollten meine absterbenden Körperfunktionen mich daran hindern geistig aktiv zu sein, dann möchte ich mich von der Last des hinfällig gewordenen Körpers befreien.
    Dank dem ehrgeizigen Treiben von Medizin und Pharmazie vermögen wir das Erdenleben um Jahre zu verlängern. Fast scheint es, beliebig lange. Wozu?
    Mit dem selbst gewählten Tod greifen wir nicht in das Walten der Schöpfung ein, im Gegenteil, wir entgehen den respektlosen Machenschaften einer medizinischen Wissenschaft, die keine Grenzen mehr kennt und sich mit Fleiss und Ehrgeiz mehr und mehr immer gravierender ins Leben einmischt und sich vor nichts scheut.
    Ich glaube nicht, dass dem Himmel dieses respektlose Eingreifen gefällt.

    Antworten
  6. Wenn man glaubt, dass man am Ende seines Lebens, das vielleicht durch Krankheit markiert ist, jemanden nicht zur Last fallen will, dann hat man nicht begriffen, dass jeder von uns auch am Anfang seines Lebens auch auf ein Netzwerk Familie und anderen Menschen angewiesen war. Christsein lebt lebenslang davon, dass andere Menschen bereit sind – in Familie, Kommune, Kirche, Betrieb und Gesellschaft – jeden von uns – oft genossenschaftlich organisiert – zu tragen, Beziehungen zu pflegen und miteinander den Lebensweg zu gehen. Deshalb ist es auch legitim, dass man sein Ende nicht selbst herbeiführen sollte, sondern wiederum wie am Anfang durch Geburt auch am Ende sich fallen lassen darf in das Netzwerk von Menschen, die einem nahe stehen oder auch durch ihren Beruf uns helfen, die Schwelle des Todes zu überschreiten. Ich glaube, auch Walter Jens, der ja ähnlich wie Hans Küng dachte, hat eben den Zeitpunkt verpasst, selbst zu bestimmen, wann er aus dem Leben geht.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar