Engagiert für das Recht Gestorbener

Für ihre bibelwissenschaftliche Dissertation „Das Recht Gestorbener. Rizpa als Toralehrerin für

Preisträgerin Luise Metzler und Doris Strahm während der Verleihung des Marga Bührig-Preises (Fotos: Esther R. Suter) Preisträgerin Luise Metzler und Stiftungsrätin Doris Strahm (re.) während der Verleihung des Marga Bührig-Preises (Fotos: Esther R. Suter)

David“ wurde die Bielefelder Theologin Luise Metzler kürzlich in Basel mit dem Marga Bührig-Förderpreises 2015 ausgezeichnet. Luzia Sutter Rehmann, Vizepräsidentin der Marga-Bührig-Stiftung, überreichte der siebenfachen Grossmutter den mit 5000 Franken dotierten Preis für feministisch-befreiungstheologisches Arbeiten. Von Esther R. Suter

Luise Metzler ist Mutter von 3 Töchtern und Grossmutter von 7 Enkeln. Sie unterrichtete zuerst als Lehrerin Sonderpädagogik, rief mit anderen das erste Kindersorgentelefon ins Leben und engagierte sich jahrelang bei der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache. In den 90er Jahren begegnete sie Dorothee Sölle’s Werk „Es muss doch mehr als alles geben“. Das eröffnete Metzler einen neuen Zugang zu religiösen Fragen und führte letztlich zum Theologiestudium, nachdem sie ihre belastete Beziehung mit einem allmächtigen Gottes-Verständnis abgebrochen hatte. Heute arbeitet die Bielefelderin als Erwachsenenbildnerin und engagiert sich in ihrer Gemeinde als Theologin. Eine fünfköpfige Jury  wählte die von Luise Metzler 2012 abgeschlossene Dissertation  „Das Recht Gestorbener. Rizpa als Toralehrerin für David“ aus.

Übersetzen ist revolutionäre Kunst. Luzia Sutter und Gisela Elsässer, Bibelwissenschafterinnen und Jurymitglieder, begründeten die Verleihung des Preises in der Laudatio mit Details aus dem Werk und der dahinter stehenden minutiösen Forschungsarbeit. So habe sich Luise Metzler nicht gescheut, Texte aus dem Hebräischen neu zu übersetzen und ein neues Verständnis zu erarbeiten. Es gehe ihr um die Rechte der Toten, konkret um das Menschenrecht auf ein würdiges Begräbnis. Dazu suchte Metzler alle Begräbnisnotizen aus der ganzen Bibel heraus. Unser heutiges Bild, dass die Toten in der Erde ruhen und dass ihnen diese Ruhe nicht vorzuenthalten ist, geht auf biblische Texte zurück. Dabei wurde der Friedhof im Alten Testament als der Ort des Gottschauens verstanden, und Verstorbene haben ein Recht darauf, in Ruhe Gott zu schauen. Das Recht der Toten auf ein Begräbnis ist in der Tora verbrieft. Luise Metzler ging von der Stelle im fünften Mosebuch 21,23 aus. In der Bibel für gerechte Sprache lautet sie: ‚… so lasse den Leichnam nicht über Nacht im Baum hängen. Begrabe ihn unbedingt noch am gleichen Tag, denn er ist ein Fluch der Gottheit. Lasse deinen Grund und Boden nicht unrein werden, den Adonaj, deine Gottheit, dir als Erbbesitz übergibt‘.

Marga Bührig-Preisträgerin Luise Metzler Luise Metzler freut sich über den Marga Bührig-Preis

Luise Metzler

Übersetzen sei eine revolutionäre Kunst, meinte die Jury. So heisst es in herkömmlichen Übersetzungen: ‚Verflucht von Gott ist jeder, der am Holz hängt‘. Aufgehängte sind eine Entwürdigung der Gottheit. Doch auch Hingerichtete, unterstreicht Metzler in ihrer Arbeit, bleiben unabhängig von ihrer Tat Menschen. Deshalb soll ihre Leiche nicht am Holz hängen bleiben. Ihre neue Übersetzung lautet daher:… ‚nicht verflucht ist, wer am Holz hängt‘,…denn wenn Menschen nicht begraben werden, wird die Gottheit entwürdigt. Auch im Tod fordern Gestorbene ihr Recht ein, noch Mensch und Ebenbild Gottes zu sein. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen geht somit über den Tod hinaus. Mit ihrer neuen Übersetzung von 5. Mose 21,23 zeige die Autorin auf, was Recht und Gerechtigkeit ist. Die Tora erhebt Einspruch gegen unwürdigen Umgang mit Verstorbenen.
Metzler konzentriert sich vor allem auf die Frauengestalt Rizpa im zweiten Samuelbuch und stellt fest: Rizpa geht zu den Hingerichteten hinaus, hält wortlos Wache. Schützt so Land und Gottheit vor Entwürdigung. Das wäre eigentlich die Aufgabe des Königs (David). Rizpa fordert darum die Bestattung der Hingerichteten ein. – Das Einhalten der Tora kommt immer wieder nahe heran an das, was wir mit Menschlichkeit walten  lassen beschreiben würden.

Besudelt von Unmenschlichkeit. Luzia Sutter zieht den Vergleich mit Heute und fragt: Hunderte von Einwanderer an der europäischen Aussengrenze sterben vor Hunger und Krankheit. Wie werden sie bestattet, dass sie in Frieden Gott schauen? Was geschieht mit den Kriegstoten oder den ertrunkenen Vertriebenen, durch die ein Meer oder Sandstrände zum Ort des Grauens werden? Das Land wird zutiefst besudelt mit Unmenschlichkeit.

Seit 1999 verleiht die Marga Bührig-Stiftung den mit 5000.- Franken dotierten Preis an eine Theologin, die einen hervorragenden und eigenständigen wissenschaftlichen Beitrag auf dem Gebiet der feministischen Befreiungstheologie vorlegt. Das Werk soll gesellschafts-politische Relevanz aufweisen im Sinne der Stifterin Marga Bührig (1915-2002), eine der Pionierinnen der feministischen Theologie in der Schweiz, die sich in der weltweiten Kirche für Gerechtigkeit und eine befreiende Theologie eingesetzt hat.

Luise Metzler, Das Recht Gestorbener. Rizpa als Toralehrerin für David. Theologische Frauenforschung in Europa, Band 28, Lit Verlag, Münster 2015

4 Gedanken zu „Engagiert für das Recht Gestorbener“

  1. Ich habe diesen Beitrag mit hohem Interesse gelesen, und ich denke, dass ich bezüglich der Achtung gegenüber Toten mit der Preisträgerin übereinstimme, wenngleich nicht notwendig hinsichtlich jeden Punktes ihres theologischen Ansatzes.

    Was mir an Besonderem in den Blick fällt und nicht richtig klar wird, ist die Textstelle „ … nachdem sie ihre belastete Beziehung mit einem allmächtigen Gottes-Verständnis abgebrochen hatte“.

    Meine Frage(n): Ist Gott, der Gott des Alten Testamentes, nun allmächtig an sich oder nur irgendwie bedingt? – Oder hat die Preisträgerin eine Vermittlung des Bildes eines allmächtigen (unbedingten) Gottes erfahren, die ihr nicht gemäß war, an der sie womöglich hätte erkranken können?

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  2. Der Respekt der Preisträgerin vor den Toten überzeugt und eröffnet ihr den Weg zu vielen Lesern. Nur: Ist der Respekt vor den Toten noch sinnvoll, wenn es keinen allmächtigen Gott gibt? Ohne Gott wäre doch alles sinnlos.Leider auch der Respekt vor den Toten. Das kann es nicht sein.

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  3. Antwort an Hubert Krebser:
    Luise Metzler machte diese Aussage in einem kurzen Interview. Ihre zweite Vermutung trifft zu: dieses vermittelte Bild eines allmächtigen Gottes hat sie beinahe krank gemacht, sie hat darunter sehr gelitten.

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