Ein gutes Leben für alle

Wie ein sozial gerechtes Grundeinkommen aussehen könnte

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Bild: zVg

Über kaum ein Thema wird so heftig gestritten wie über das bedingungslose Grundeinkommen. Für die einen ist es die letzte verbliebene Vision einer gerechten Wirtschaft von morgen: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen könnten alle Menschen selbstbestimmter leben, weil sie nicht zu jeder Erwerbsarbeit genötigt wären, nur um über die Runden zu kommen.

Nein, sagen andere. Es ist nicht gerecht, wenn jemand Geld von der Gesellschaft bekommt, ohne etwas zu leisten. Und es sei schon gar nicht gerecht, sagt der deutsche Armutsforscher Christoph Butterwegge, wenn sowohl Millionäre wie auch kleine Leute das gleiche Grundeinkommen vom Staat erhalten. Dann blieben, so Butterwegge, die Einkommensunterschiede letztlich gleich. Und der gewichtigste Einwand: Wer soll es eigentlich bezahlen, wenn, wie in der Schweiz debattiert, jeder Erwachsende monatlich 2500 Schweizer Franken erhalten soll, Kinder rund 600 Franken. So wurde das Konzept von 77 Prozent der Schweizer Stimmbürger am 5. Juni 2016 abgelehnt, obwohl eine Mehrheit in Umfragen ihre Sympathie mit der Idee bekundet hatte.

„Das Grundeinkommen darf nicht zu hoch sein. Ein Anreiz zur Erwerbsarbeit muss bestehen bleiben.“ Sozialethiker Hans Ruh

Warum dann die Ablehnung? Der Ökonom Mathias Binswanger schildert das Dilemma: „Wenn das Grundeinkommen zu gering ist, kann niemand davon leben. Wenn der Betrag hoch ist, kann man davon leben. Aber dann wird die Finanzierung zum Problem.“ In die gleiche Kerbe schlägt der Züricher Sozialethiker Hans Ruh, der seit langem für die Idee streitet: „Das Grundeinkommen darf nicht zu hoch sein. Ein Anreiz zur Erwerbsarbeit muss bestehen bleiben.“

Ist ein Grundeinkommen denkbar, das kleinen Leuten stärker zugutekommt als Millionären und das dazu noch in die Arbeitsgesellschaft passt? Die Antwort lautet: Ja.  Stellen Sie sich Folgendes vor:  Alle Bürgerinnen und Bürger über 18 Jahre, die ihren Lebensmittelpunkt seit zehn Jahren in der Schweiz haben, erhalten ein Anrecht auf ein monatliches Grundeinkommen vom Finanzamt in Höhe von – zum Beispiel – 1200 Schweizer Franken, Kinder und Jugendliche 300 Franken. Aber: Dieses Grundeinkommen wird vom Finanzamt ausbezahlt und mit der Steuer verrechnet. Das heißt: Wer keine Steuern bezahlt, erhält das Grundeinkommen ausbezahlt. Wer – zum Beispiel – 2000 Franken Steuern pro Monat zu zahlen hat, zahlt noch 800 Euro, der Anspruch auf das Grundeinkommen wird auf die Steuerlast angerechnet.

Zugegeben, es klingt wie eine Neuberechnung der Steuer, doch es wäre eine gesellschaftliche Revolution. Das Grundeinkommen stärkt alle Menschen in allen Lebenslagen: Niemand lebt mehr in absoluter Armut. Alle Bürger können ihr Leben kreativer und selbstbestimmter als heute gestalten.  Der gesellschaftliche Zusammenhalt wächst. Denn: Wer mit anderen zusammenlebt, profitiert mehr. Eltern können ihr Leben mit Kindern leichter organisieren, indem sie Erwerbsarbeit teilen. Sie hätten mehr Zeit für ihre Kinder. Ähnliches gilt für Bürgerinnen und Bürger, die Angehörige oder Freunde pflegen – oder die einem Ehrenamt nachgehen. Mit einem Grundeinkommen wird es leichter, die Arbeitszeit zu verkürzen, weil es die finanziellen Verluste abmildert.

„Es wäre ein großer Schritt zu mehr Gerechtigkeit – bei mehr Freiheit.“ Wolfgang Kessler

Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand: Da das Grundeinkommen mit der Steuer verrechnet wird, profitieren Geringverdiener stärker. Gleichzeitig passt es in die Arbeitsgesellschaft, weil alle, die Erwerbseinkommen beziehen, mehr Geld verdienen als jene, die nur von Grundeinkommen leben.

Da es nicht an alle direkt ausgezahlt werden muss, ist es leichter finanzierbar, zumal viele Sozialleistungen und Steuerfreibeträge nicht mehr nötig sind.  Hans Ruh empfiehlt zur Finanzierung eine Finanztransaktionssteuer. Denkbar wären aber auch eine Vermögensabgabe, höhere Steuern für höhere Einkommen oder auf hohe Erbschaften.  

Klar: Das Grundeinkommen ist keine eierlegende Wollmilchsau, die alle Probleme löst. Aber es verschafft den Menschen ein wenig Unabhängigkeit vom Hamsterrad des rasenden Finanzkapitalismus – und gibt ihnen Sicherheit in Zeiten großer Umbrüche. Es wäre ein großer Schritt zu mehr Gerechtigkeit – bei mehr Freiheit.

 

Wolfgang Kessler ist Wirtschaftswissenschaftler und Publizist. Er war von April 1999 bis Mai 2019 Chefredaktor von Publik-Forum. Von ihm erschien im Mai das Buch: „Die Kunst den Kapitalismus zu verändern.“ Publik-forum Verlag.

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