Die zerfetzte Glaubwürdigkeit wieder herstellen

Die Kirche droht an einer unbewältigten Sexualität zu zerbrechen. Unzählige Male hat die Kirchenleitung bei diesem Thema versagt. Das zeigt der jüngste verantwortungslose Vergleich der Abtreibung mit einem Auftragsmord. Nun bittet eine Gruppe von Französinnen und Franzosen den Papst, ein Konzil einzuberufen

Cristian Gennari, epd

Bild. Cristian Gennari, epd

Vertreter*innen der Conférence Catholique des Baptisé-e-s Francophones, eine Vereinigung von kritischen Katholikinnen und Katholiken haben, als Reaktion auf die zahllosen Skandale um sexuelle Übergriffe von Priestern einen Brief an den Papst geschrieben. Damit reagierten sie auf den Appell des Papstes, in dem er den Klerikalismus als einen der Gründe des Übels verurteilt und die Getauften aufruft, ihm bei der Lösung des Problems zu helfen. Eine Versammlung des ganzen Volkes Gottes, zu gleichen Teilen Frauen und Männer, Laien und Kleriker, wäre das Zeichen für Ihren Willen, die Kirche tiefgreifend zu verändern und ihr das Vertrauen ihrer Mitglieder zurückzugeben, schreibt CCBF an Franziskus.

Die Kirche droht an einer unbewältigten Sexualität zu zerbrechen. Gläubige Menschen leiden seit bald 2000 Jahren an einer Denkweise, die lust- und sexual-feindlich ist. Die Kirche hat sie von den griechischen, römischen und jüdischen Philosophen übernommen und weiterentwickelt. Die Ehelosigkeit und damit verbunden die sexuelle Enthaltsamkeit für moralisch höher als die Ehe eingeschätzt. Augustinus, selbst einmal kein Verächter sexueller Freuden, hat nach seiner Bekehrung eine eigenartige Theologie der Sexualität entwickelt. Seiner Meinung nach unterschied sich die Ehe im Paradies grundsätzlich von der Ehe nach dem Sündenfall. Denn der Zweck der Paradies-Ehe war einzig und allein die Erzeugung von Nachkommen. Der notwendige Geschlechtsakt geschah dabei angeblich ohne Lustgefühl, da die Geschlechtsorgane im Paradies völlig dem Willen unterworfen waren. „Warum sollte es unglaubhaft erscheinen, dass die Beschaffenheit der ersten menschlichen Körper von der Art gewesen ist, dass die Menschen mit dem Wink über die Geschlechtsorgane verfügten, mit dem man über Füße verfügt, wenn man spazieren ging. Augustinus hat auch Grossartiges gedacht, aber in Bezug zur Urmacht der Sexualität hat er die Kirche vergiftet und das Gift wirkt noch heute. Und noch immer gelingt es der Kirche nicht, der Sexualität den Raum zu geben, der ihr zusteht. Noch immer – und heute wie kaum je – wird ihr Unvermögen, mit Sexualität umzugehen sichtbar.
               
Seid still und demütig

Und immer noch sind Frauen als erste davon betroffen. Ihre anthropologische Bestimmung als Gehilfin des Mannes und Wesenszügen. Augustin entwirft das Sittenbild einer christlichen Ehefrau mit den wesentlichen Tugenden des Gehorsams und der Sittsamkeit im Rahmen ihrer Aufgabe als treusorgende Mutter der aus der Ehe entsprungenen Kinder. Augustin beschränkt die Möglichkeiten weiblicher Selbstverwirklichung wie seine christlichen Zeitgenossen auf die Ehe, die Witwenschaft und die Jungfräulichkeit, wobei er stets die Superiorität der Jungfräulichkeit hervorhebt.
Und noch immer bleiben Frauen in der Kirche an den Rand gedrückt. Schon immer – und auch heute noch – glaubt sie, damit den Frauen gerecht zu werden.

Grausam und barmherzig. Geht das miteinander?

In diesen Tagen hat die Deutsche Presse Agentur – und mit ihr eine riesige Zahl von Zeitungen – gemeldet. „Papst Franziskus hat Abtreibungen mit einem Auftragsmord gleichgestellt und da zugefügt: Aber wie kann ein Akt, der das unschuldige Leben (…) unterdrückt, therapeutisch, zivil oder einfach menschlich sein?“
Noch 2016 hat Franziskus in anderem Ton geredet. Er hat ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Er erlaubte Priester ein Jahr lang, Frauen die Sünde der Abtreibung zu vergeben. Eine Entscheidung, die viel zu reden gab.

Und seit nunmehr einigen Jahren ist eine riesige Eiterbeule geplatzt, ein Ereignis, das die Glaubwürdigkeit der Kirche bis in ihre Tiefe erschüttert. Und noch immer will man sich der Pädophilie in der Kirche nicht so stellen, wie es nötig ist.

In seinem Schreiben „Brief an das Volk Gottes“ (20.8.2018) schreibt Franziskus: Wir müssen eine „Null-Toleranz-Haltung“ verbreiten…Verbunden mit diesen Bemühungen ist es nötig, dass jeder Getaufte sich einbezogen weiß in diese kirchliche und soziale Umgestaltung, die wir so sehr nötig haben. Eine solche Umgestaltung verlangt die persönliche und gemeinschaftliche Umkehr. Sie leitet uns an, in die gleiche Richtung zu schauen wie der Herr … Zu diesem Zweck helfen Gebet und Busse. Ich lade das ganze heilige gläubige Volk Gottes zu dieser Bussübung des Gebets und des Fastens entsprechend der Aufforderung des Herrn ein. Er weckt unser Gewissen, unsere Solidarität und unseren Einsatz für eine Kultur des Schutzes und des „Nie wieder“ gegenüber jeder Art und jeder Form von Missbrauch.

Es ist unmöglich, sich eine Umkehr des kirchlichen Handelns vorzustellen ohne die aktive Teilnahme aller Glieder des Volks Gottes. Mehr noch: Jedes Mal, wenn wir versucht haben, das Volk Gottes auszustechen, zum Schweigen zu bringen, zu übergehen oder auf kleine Eliten zu reduzieren, haben wir Gemeinschaften, Programme, theologische Entscheidungen, Spiritualitäten und Strukturen ohne Wurzeln, ohne Gedächtnis, ohne Gesicht, ohne Körper und letztendlich ohne Leben geschaffen. Das zeigt sich deutlich in einer anomalen Verständnisweise von Autorität in der Kirche – sehr verbreitet in zahlreichen Gemeinschaften, in denen sich Verhaltensweisen des sexuellen wie des Macht- und Gewissensmissbrauchs ereignet haben. Nämlich als Klerikalismus, jene Haltung, die »nicht nur die Persönlichkeit der Christen zu Nichte macht, sondern dazu neigt, die Taufgnade zu mindern und unter zu bewerten, die der Heilige Geist in das Herz unseres Volkes eingegossen hat. Der Klerikalismus, sei er nun von den Priestern selbst oder von den Laien gefördert, erzeugt eine Spaltung im Leib der Kirche, die dazu anstiftet und beiträgt, viele der Übel, die wir heute beklagen, weiterlaufen zu lassen. Zum Missbrauch Nein zu sagen, heisst zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen. Schöne und einsichtige Worte, aber wird es dabei bleiben?

Und damit sind wir wieder am Anfang unserer Überlegungen zur Auseinandersetzung der Kirche mit der Sexualität. Sexualität ist kein Thema autoritären Verordnens. Sie gehört in den Raum der Freiheit, den der Geist Gottes schafft.
Unzählige Male ist diese Freiheit gefordert worden. Und unzählige Male hat die Kirchenleitung versagt. Das zeigt der verantwortungslose Vergleich der Abtreibung mit einem Auftragsmord.

Laien aus Frankreich, haben dem Papst einen Brief geschrieben, in dem sie auf seinen Brief an das Volk Gottes reagieren.

Hier die Übersetzung: 

Brief an den Papst

Heiliger Vater
In Reaktion auf die zahllosen sexuellen Übergriffe von Priestern an jungen Menschen, haben Sie einen Brief an das Volk Gottes geschrieben. Darin verurteilen Sie den Klerikalismus als einen der Gründe des Übels und sie rufen die Getauften auf, Ihnen darin zu helfen, die Probleme zu lösen.

Wir möchten auf Ihren Appel reagieren.

Wir unterstützen tatsächlich mit Energie alle Ihre Massnahmen und versuchen umzusetzen, was sie vorschlagen. Zu ihrer Zeit wird die Konferenz der getauften Frauen und Männer genügend bekannt sein. Sie kommentiert ihre bereits veröffentlichen Schriften zu diesem Thema, Evangelii Gaudium, Ihr Schreiben zum 50. Geburtstag des letzten Konzils, Ihren Brief an Kardinal Quellet 2016. Darin spricht sie schon die Mobilisierung der Getauften im Leben der Kirche an, die Notwendigkeit, mutig zu sein, die Notwendigkeit die pastorale Pyramide auf die Füsse zu stellen und von der Priorität des allgemeinen Priestertums der Gläubigen zu reden.

Heute ist die Glaubwürdigkeit unserer Kirche nicht nur angekratzt, sondern zerfetzt. Und mit dem Vertrauen, das verloren geht, geht die Kirche unter, und zusammen verlieren Priester und Laien Glaubwürdigkeit bei der Verkündigung des Evangeliums.

Es ist unsere Aufgabe als Konferenz der Getauften ihnen unsere Überzeugungen, Meinungen und Visionen für unsere Kirche zur Kenntnis zu bringen, wie der Kanon 212 §3 uns auffordert. Diese Aufgabe ist nichts anderes als eine Konsequenz des Gespürs der Gläubigen, der sie animiert, und den Sie im Namen aller auszudrücken haben.

Deshalb appellieren wir eindringlich für ein Konzils der Gläubigen. Muss nicht das ganze Volk Gottes sich bereit machen, auf den Geist zu hören, um die Freuden und Hoffnungen, die Traurigkeit und Ängste der Menschen unserer Zeit wahrzunehmen(  Gaudium et Spes Nr. 1)? Das Volk im Ganzen, muss es nicht dazu beitragen, die Grundlagen einer Kirche, die aufmerksam auf das Wort Gottes hört. Ist es nicht so, dass das Hören der ganzen Kirche, das verlorene Vertrauen zurückgewinnen kann?

Die Versammlung des ganzen Volkes Gottes,  zu gleichen Teilen Frauen und Männer, Laien und Kleriker, wäre das Zeichen für Ihren Willen, die Kirche tiefgreifend zu verändern und ihr das Vertrauen ihrer Mitglieder zurückzugeben. Es wäre ein Augenblick der Wahrheit, um unserer Kirche die Bedingungen zu geben für eine wirkliche Neugeburt und eine neue geteilte Zukunft festzuschreiben durch die Gesamtheit der Gläubigen heute und morgen.

Ich bitte Sie, Heiliger Vater, an meinen tiefen Respekt zu glauben

Anna Soupa, présidente conference-catholique-des-baptise-e-s-francophones.*

* CCBF https://www.baptises.fr/ )

*Verfasserin dieses Briefes ist nicht bloss eine einzelne Person. Eine engagierte Gruppe von vielen Menschen steht hinter diesem Brief:

Wer ist CCBF?

Eine Vereinigung von kritischen Katholikinnen und Katholiken. Sie ist im Verlauf einiger Auseinandersetzungen mit Klerikern entstanden.
1. Am Anfang steht das Komitee des Jupes. Der Pariser Kardinal André Vingt-Trois von Paris äussert sich auf Radio Notre Dame so über die Rolle der Frau in der Kirche. „Das schwierigste ist es gebildete Frauen zu finden. Es geht nicht darum, dass sie einen Jupe tragen, sie müssen etwas im Kopf haben“. Zwei Frauen gründen ein Komitee des Jupes und klagen vor dem Gericht der Diözese Paris. Als der Kardinal seine Aussage nuanciert, ziehen sie die Klage zurück.
2. Das Jahr 2009 bringt eine ganze Reihe von Skandalen. a)Bischof Williamson hält trotz schärfster Kritik „die sechs Millionen Vergasten“ weiterhin für eine „Riesenlüge“. b)Exkommunikation der Mutter eines Mädchens, das abtrieb, weil die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande kam. c) Behauptung Benedikt XVI die Verteilung von Präservativen verschlimmere die Ausbreitung von Aids.

Daraufhin formulierte der think tank der Bewegung Aufgaben der Bewegung. Ihre Schlussfolgerungen zeigen eine Vision der Kirche am Rand, die nicht vertikal organisiert ist und den Dialog mit der Gesellschaft sucht.
Die Entwicklung der praktischen Arbeit bringt die Doktrin weiter, Es gilt nicht das umgekehrte Modell Die Basisprojekte bringen die Dinge weiter.
Die Idee entstand, dem Papst einen Brief zu schreiben: Bitten wir Papst Franziskus um ein Konzil des getauften Volkes Gottes, an dem ebenso viele Frauen wie Männer teilnehmen.
In Reaktion auf die zahllosen sexuellen Übergriffe von Priestern an jungen Menschen, haben Sie einen Brief an das Volk Gottes geschrieben. Darin verurteilen Sie den Klerikalismus als einen der Gründe des Übels und sie rufen die Getauften auf, Ihnen darin zu helfen, die Probleme zu lösen.

6 Gedanken zu „Die zerfetzte Glaubwürdigkeit wieder herstellen“

  1. Höchste Zeit, etwas zu unternehmen, bevor es zu spät ist, sehr dringend: die skandalöse Diskriminierung der Frauen, mit faulen, intellektuell sehr fragwürdigen Argumenten vertuscht

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  2. Ich gehöre zur Generation jener Frauen, die sich über Jahrzehnte für diese Kirche eingesetzt haben und immer gehofft, über Jahre gehofft haben, dass sich etwas bewegt. Auch ich habe nun resigniert.

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  3. Das beste das ich je über Sexualmoral der Kirche gelesen habe. Ich habe mich über die Körperfeindlichkeit und Bewertung der Partnerschaft + Erotik geärgert. Bin 76 Jährig.

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  4. Habe ich bei LinkedIn und erwähnt mit dem Kommentar:
    Zerfetzte Glaubwürdigkeit
    „Heute ist die Glaubwürdigkeit unserer Kirche nicht nur angekratzt, sondern zerfetzt. Und mit dem Vertrauen, das verloren geht, geht die Kirche unter, und zusammen verlieren Priester und Laien Glaubwürdigkeit bei der Verkündigung des Evangeliums.“
    So O-Ton von „Vatikanum 2“-Lemmingen an ihr sichtbares Oberhaupt Jorge Bergoglio, der von ihnen als „Papst Franziskus“ ausgegeben wird.
    In der Tat: Die V2-Sekte hat keinerlei Glaubwürdigkeit, insbesondere nicht bei der Verkündigung des Evangeliums, und die V2-Sekte wird untergehen.
    Insofern gibt also durchaus gemeinsame Ansichten bei Katholiken und V2-Sektierern.

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  5. Der Zölibat in seiner Pflichtform IST Geschichte und zwar schon länger. Eine im biblischen Sinne „lebendige Leiche“ ist das, zu deren sachgerechter Entsorgung man sich klerikerseits nicht so recht entscheiden kann. Der Pflicht-Anteil am gehört auf dem kirchlichen Komposthaufen zum Recycling – dort könnte in einem gut beobachteten Zerfallsprozess einige gelernt werden. Aber ein Zombie der pflichtgemäss herumirrt kostet nur Zeit und Kraft …

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  6. „Die zerfetzte Glaubwürdigkeit wieder herstellen.“

    Das Ziel des Anliegens ist klar. Nicht klar ist in dem Artikel, was Katholische Kirche eigentlich ist oder sein sollte.
    Klar ebenfalls ist, dass in diesem Pontifikat einiges drunter und drüber geht; was nach belastbaren Beobachtungen hauptsächlich dem Pontifex Maximus zuzuschreiben ist. Dieser Posten heißt von Alters her so, gleich ob der Träger des Amtes maximal ist.

    Zwei Sachverhalte scheinen mir diskussionswürdig, weil sie der Sache oder der Funktion nach deutlicher hervortreten.

    Das eine ist die Bezeichnung „Auftragsmord“ für eine „Abtreibung“. Die Sache selbst ist unstreitig, es handelt sich um eine beabsichtigte Tötung. Dafür gibt es im Strafgesetzbuch einen Tatbestand, unabhängig vom Alter des Getöteten. Aufgrund der besonderen Umstände einer Schwangerschaft sieht das Gesetz Ausnahmefälle vor; sittenwidrig ist eine Abtreibung dennoch. Die Verärgerung über den Papst ist verständlich, weil in einer gepflegten Konversation das Thema „Abtreibung“ genierlich ist, viele leiden auch darunter. In philosophischer Sicht jedoch ist die Aussage des Papstes unwiderlegbar. Um meine eigene Befindlichkeit nicht einfließen zu lassen, muss ich hinzufügen, dass der Papst mit seiner Rede in der zweitausendjährigen Tradition der Katholischen Kirche bleibt.

    Der andere Punkt ist „Klerikalismus“. Diesen dürfte es in verschiedenen Formen schon immer gegeben haben. Neu ist die übermäßige Verwendung dieses Begriffes, den früher kein gewöhnlicher Mensch kannte. Diese gehäufte Verwendung kommt vom Papst selbst und aus seiner Entourage. Das ist nur zu verstehen als Absicht, von den erheblichen Versäumnissen bei der Behandlung des Missbrauchsskandals abzulenken, desweiteren um die Korrelation zwischen der Homosexualität von bestimmten Bischöfen / Priestern und jugendlichen männlichen Opfern zu leugnen. Dass Abhängigkeiten Missbrauch begünstigt haben, kommt noch dazu, ist aber in der Korrelation nicht der zentrale Punkt.

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