Warum Frank Richter die Pegida zum Gespräch macht

Frank Richter, Theologe und neuer Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche in Dresden, ist ein ausgewiesener Kenner der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung. Wie ihr im Spannungsfeld von Religion und Gesellschaft begegnet werden kann, legte der frühere Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung im Gespräch mit den Teilnehmenden der aufbruch-Leserreise dar. Pegida Montagsdemo. Bild: Wolf Südbeck-Baur

Damals, 1989, kurz bevor die Mauer fiel, flogen Steine und wütende Schreie durch Dresden, durch das ehemalige Gebiet der DDR. Heute beschallt die Pegida-Bewegung jeden Montag die Altstadt Dresdens mit Merkel-muss-weg-Parolen. So brüllen auch an diesem Montag etwa 500 Pegida-Anhänger, als die 25-köpfige aufbruch-Reisegruppe in der sächsischen Landeshauptstadt eintrifft. Pegida steht gemäss eigener Darstellung für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ und ist als islam- und fremdenfeindliche, völkische, rassistische und rechtspopulistische Organisation einzustufen.

Unter der Überschrift „Zwischen Pegida, Romantik und Weihnachtsstern“ wollen wir wissen, was die Hintergründe dieser spannungsgeladenen Gemengelage insbesondere in Ostdeutschland sind. Was steckt hinter diesen 27 Jahren Entfremdung, welche die Pegida-Leute laut, andere in Deutschland nur leise hinter vorgehaltener Hand zum Ausdruck bringen? Frank Richter, der sich schon 1989 als junger Kaplan der Dresdner Hofkirche einen Namen als Moderator von Konfliktgesprächen mit Populisten gemacht hat, steht auf Einladung des aufbruch vor unserer Reisegruppe. Mit sanfter, aber eindringlicher Stimme erinnert er an sozialwissenschaftlich erhärtete Fakten: „80 bis 90 Prozent der Funktionseliten in den Chefsesseln sind Westdeutsche, die den ehemaligen DDR-Bürgern bis heute das Gefühl geben, es herrscht die Ordnung der anderen, nämlich die der kapitalisch geübten Westdeutschen,“ erklärt der 56-Jährige.

Dieses Gefühl, das sich tief in den Hinterköpfen der Ostdeutschen eingegraben habe, beschreiben Sozialwissenschaftler, so Richter, als „Überschichtung, die nun durch die Flüchtlinge getoppt wird und von den sozialistisch geprägten früheren DDR-Bürgern als Unterschichtung wahrgenommen wird.“ Sie plage heute die Frage: Wo bleiben wir? Die Flüchtlinge würden schliesslich vom Sozialstaat materiell gut versorgt. Auch wenn die Stadt Dresden inzwischen gut aufgestellt ist und die Schäden der Hochwasserfluten von 2005 und 2011 längst ausgebügelt sind, auch wenn die ostdeutschen Regionen mit dem Autobahnnetz verbunden und nach 1990 eine gigantische Aufbauleistung erbracht worden ist, „…sind die Menschen innerlich trotzdem nicht mitgekommen“, konstatiert der neue Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche. Sozialwissenschaftler, hätten selten eine so tiefgreifende Transformation in Europa beobachtet, obwohl die DDR-Bürger fast ausnahmslos „für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland waren und die D-Mark wollten. Wiedervereinigung ist ein Euphemismus „. Richter betont mit Nachdruck: „Sie sind aber immer zweiter Sieger und fühlen sich als Deutsche zweiter Klasse, was Einkommen als auch Status betrifft.“ Der ehemalige katholische Priester hebt wie beim Segen die Arme: „man bleibt Mittel- und Unterschicht, die Westdeutschen sind unter sich.“ Zurück bleibe ein Schamgefühl, gerade weil man diesen auch stark wirtschaftlich motivierten Beitritt zur BRD wirklich wollte. „Das ist für die Befindlichkeit der Ostdeutschen nicht zu unterschätzen.“

Dazu kommt die schwierige demografische Entwicklung, der sich Sachsen gegenübersieht. Laut Richter werden die Menschen hier „immer älter und immer weniger.“ Lebten 1952 noch 5,2 Mio. Menschen in Sachsen, werden es 2052 nur noch etwas mehr die Hälfte sein. Zudem vertiefe sich wie in der Schweiz auch der Graben zwischen den sächsischen Metropolen Dresden und Leipzig einerseits und den ländlichen Regionen anderseits. „Vor allem die jungen Frauen, die in der Schule gut mitkamen, ziehen Richtung Westen“, berichtet Richter, „Fachkräftemangel in Sachsen ist die Folge.“

Um die Gemütslage in Sachsen gerade auch im Blick auf Pegida zu verstehen, sei zudem die weltanschauliche Dimension in den Blick zu nehmen. „Religion steht für 80 Prozent der Ostdeutschen als geistige Ressource schlicht nicht zur Verfügung, sie sind religiös völlig unmusikalisch“, analysiert Frank Richter und folgert messerscharf: „Aber diese 80 Prozent sind nicht alle Atheisten.“ Marxismus/Leninismus funktioniere wohl als Einteilungs- und Ordnungsprinzip der Welt, nicht aber als Religionsersatz. Gleichwohl habe die sozialistische Weltanschauung Ideale hochgehalten, „die von christlichen Werten nicht so weit entfernt sind“, so Richter. Man denke etwa an Gerechtigkeit, Solidarität und Gemeinschaft.

Was bleibt aber übrig, wenn Religion als geistige Ressource wegfällt? „Neoliberalismus in Tateinheit mit gnadenloser Konkurrenz“ sei das eine. Im Kontrast dazu stehe aber die Erfahrung vieler Ostdeutscher, „dass sie nach 1990 angepackt haben und trotzdem das Gefühl der Zweitklassigkeit im Vergleich zu Westdeutschen bleibt“. Brandgefährlich sei der zweite Referenzpunkt mit orientierender Funktion, der Nationalismus. Brandgefährlich sei die momentane politische Situation deshalb, weil man der dem Nationalismus innewohnenden Logik der Ausgrenzung nicht mit derselben Logik der Ausgrenzung diesmal seitens der Demokraten beikommen könne. Deshalb sei es falsch, Anhänger ausgrenzender Bewegungen und Organisationen pauschal gesellschaftlich zu ächten.

„Trotzdem müssen wir Fremdenfeindlichkeit und Rassismus Grenzen aufzeigen“, betont Richter, ohne das Wort Pegida in den Mund zu nehmen. Denn man wisse nicht genau, was sich hinter diesem Kürzel verberge. Zudem sei der Zulauf von Pegida stark rückläufig. Marschierten Ende 2014 noch 25‘000 montagabends durch die Dresdner Strassen, sind es heute noch bestenfalls 2‘500. Damit wolle Pegida an der friedlichen Revolution von 1989 anknüpfen und diese zugleich in ihre islam- und fremdenfeindliche Richtung umdeuten. Angesichts der abnehmenden Anzahl Demonstrierender taxiert Richter die Pegida-Organisation denn auch lakonisch als eine „säkulare Sekte, die eine Flurbegehung durchführt.“

Gesprächsrunden „ausschliesslich und direkt adressiert an Pegida-Anhänger“ hält Richter darum nicht für sinnvoll und werde sie auch nicht anbieten.

Gleichwohl gebe es eine grosse Zahl von Menschen, die mit populistischen Argumenten sympathisierten. Weil diese Menschen längst nicht alle als Fremdenfeinde und Rassisten einzustufen sind, „führt anders als viele Politiker meinen, kein Weg daran vorbei, mit den Enttäuschten und Wütenden wieder ins Gespräch zu kommen“. Entsprechend hält der geschickte Mediator „Gesprächsrunden zu Themen, die von Pegida beansprucht werden, sehr wohl für sinnvoll“. Mit Ausblick in die Zukunft versichert Frank Richter, „die Bildungsarbeit an der Frauenkirche, für die ich mitverantwortlich bin, wird diese Themen – Kultur, Nation, Demokratie, religiöse Identität, Europa, Heimat, was ist das? – immer wieder bearbeiten“. Die Frauenkirche dürfe schliesslich nicht zu einem reinen Touristentempel verkommen. Richter sieht gerade in dieser angespannten Lage für die Kirchen nicht nur in Dresden die Chance, sich als Moderator anzubieten, um das Gespräch zwischen Zivilgesellschaft und Enttäuschten voranzubringen. In Dresden und überhaupt in Deutschland brauche es jetzt solche Orte.

1 Gedanke zu „Warum Frank Richter die Pegida zum Gespräch macht“

Schreibe einen Kommentar