Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay widerspricht Bischof Huonder

Im Zwist zwischen dem Zürcher Regierungsrat Martin Graf und dem Churer Bischof Vitus Huonder meldet sich der ehemalige Bundesgerichspräsident Giusep Nay mit öffentlicher Kritik zu Wort. Die Behauptung des Bischofs, die Zürcher Regierung spreche der katholischen Kirche das Existenzrecht ab, sei falsch. Nay wirft dem Bischof vor, er respektiere das staatskirchenrechtliche Verhältnis nicht.

Von Giusep Nay

Guisep Nay Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay wurde 2009 mit dem Herbert Haag-Preis für Freiheit in der Kirche ausgezeichnet.

In der jüngsten Kontroverse mit gegenseitigen Provokationen zwischen dem Kanton und der Römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich einerseits und dem Bischof von Chur anderseits zeigte sich, dass die geltende staatskirchenrechtliche Ordnung missverstanden wird. .In Deutschland ist die römisch-katholische Kirche in ihren hierarchischen Strukturen und in ihrer Organisation nach kanonischem Recht als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt. Das ist es, was sich der heutige Bischof von Chur zu wünschen scheint, wenn er sich beklagt, die Zürcher Regierung anerkenne die römisch-katholische Kirche nicht, ja spreche ihr das Existenzrecht ab. Das beklagt der  Bischof zu Unrecht, zu Recht aber weist er die Bezeichnung von Teilen der katholischen Lehre seitens eines Regierungsrates als verfassungswidrig zurück.

Dualismus

Die Religionsfreiheit garantiert jeder Religionsgemeinschaft ein Selbstbestimmungsrecht und verpflichtet den Staat zur Neutralität in religiösen Fragen. Wie eine Religionsgemeinschaft sich intern organisiert, muss ihr freigestellt sein. In ihrer inneren Organisation kann sie insoweit nicht an die Grundrechte gebunden werden, die allein Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates darstellen. Mit Berufung auf die Gleichstellung von Mann und Frau und das Recht auf Ehe zu verlangen, der Zugang zum Priesteramt in der römisch-katholischen Kirche müsse auch Frauen und verheirateten Männern offen stehen, verstiesse gegen ihr Selbstbestimmungsrecht nach ihrer Glaubenslehre sowie gegen die Neutralitätspflicht des Staates.

Bei ihrem Auftreten im staatlichen Bereich ist indessen auch eine Religionsgemeinschaft an das staatliche Recht und die Grundrechte gebunden. Will diese von ihren Mitgliedern mit staatlichem Zwang Kirchensteuern erheben, muss dies auch nach den Regeln des staatlichen Rechts erfolgen, und der Staat muss die Religionsgemeinschaft in einer Rechtsform des staatlichen Rechts erfassen. In dieser Rechtsform hat auch jede Religionsgemeinschaft die Grundrechte einzuhalten. Insbesondere muss der Staat gewährleisten, dass eine Person jederzeit mit staatsrechtlicher Wirkung aus der Religionsgemeinschaft austreten kann, damit innerreligiöse  Pflichten nicht unfreiwillig auf sich genommen werden müssen und so die Grundrechte verletzt würden.

In den deutschschweizerischen Kantonen sind bei der evangelisch-reformierten und der römisch-katholischen Kirche die Kirchgemeinden und die Landes- bzw. Kantonalkirchen, die nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen organisiert sind, diese staatsrechtliche Rechtsform. Diese sind als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannt, was aber nicht bedeutet, die beiden Kirchen seien nicht auch selber nach ihrem eigenen Selbstverständnis und der entsprechenden innerkirchlichen Organisation öffentlich anerkannt. Das ist der Fall, da nicht der Staat die Körperschaften gründete, sondern die Mitglieder der jeweiligen Kirche. Diesen räumte der Staat das Recht dazu ein, weil er deren Kirche als von öffentlicher Bedeutung anerkennt. Dies gilt auch bei der römisch-katholischen Kirche, die sich selber nicht als eine demokratische und rechtsstaatliche, vielmehr als eine hierarchische Institution versteht, die nach ihrem eigenen kanonischen Recht organisiert ist.

Katholischerseits ergibt sich mit den beiden anerkannten Organisationformen ein Dualismus mit den Strukturen der Pfarreien und des Bistums einerseits und der Kirchgemeinden und Kantonalkirchen anderseits. Diesen Dualismus kennt die evangelisch-reformierte Kirche nicht, auch sie unterscheidet jedoch zwischen einer Geistkirche und der Rechtskirche. Die Schweiz verlangt demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, um gemäss staatlichem Recht Kirchensteuern erheben zu dürfen. Da die evangelisch-reformierte Kirche selber demokratisch und rechtsstaatlich organisiert ist, bedarf sie keiner doppelten Organisation wie die römisch-katholische. Deren Kirchgemeinden haben tiefe historische Wurzeln, die bis in das frühe Eigenkirchenwesen und die lange vor der Reformation herrschende Verwaltung der Kirchengüter durch die jeweilige Gemeinde zurück reichen. Mit der zunehmenden Entflechtung von Staat und Kirchen entwickelten sich daraus die Kirchgemeinden und damit der Dualismus von Pfarrei und Kirchgemeinde wie Bistum und Kantonalkirchen.

Mitglied der kirchlichen Körperschaften ist und muss sein, wer der Kirche angehört. Die Kantonsverfassungen und staatskirchenrechtlichen Regelungen bestimmen dies denn auch ausdrücklich so. Demgemäss ist ein Austritt aus der Körperschaft bei einem Festhalten an der Zugehörigkeit zur Kirche denklogisch ausgeschlossen. Das Bundesgericht erklärt es jedenfalls als rechtsmissbräuchlich, aus der Kirchgemeinde auszutreten und trotzdem die kirchlichen Dienste in Anspruch zu nehmen. Die Deutschschweizer Bischöfe betonen daher ebenfalls die Verknüpfung der Zugehörigkeit zur Kirche und zur Körperschaft, allerdings mit Ausnahme von Chur, wo entgegen den eigenen erlassenen Richtlinien begrüsst wird, wenn Gläubige aus der Kirchgemeinde austreten und trotzdem bei Bezahlung einer Spende in beliebiger Höhe an das Bistum ohne weiteres die kirchlichen Dienste beanspruchen können..

Bischof will selber über Steuern verfügen

Mit dieser Haltung, die darauf ausgerichtet ist, die Kirchgemeinden und Kantonalkirchen zu untergraben, um selber über die Kirchensteuern verfügen zu können, hält sich Bischof Vitus Huonder nicht an das auch im Kanton Zürich mit Zustimmung seiner Vorgänger im Bischofsamt begründete und noch unter seinem unmittelbaren Vorgänger erneuerte staatskirchenrechtliche Verhältnis. Indem er die kirchlichen Körperschaften zudem als mit der kirchlichen Lehre nicht vereinbar erklärt, bezichtigt der traditionalistische Bischof alle seine Vorgänger, die dem dualistischen System zustimmten, und seine Mitbischöfe in Basel und St. Gallen, die das Gleiche tun, eines Bruchs mit dieser. Das wird Rom mehr interessieren als die Verkennung des richtigen Verhältnisses des Staates zur römisch-katholischen Kirche in plakativen Äusserungen eines Zürcher Regierungsrates.

Giusep Nay ist ehemaliger Bundesgerichtspräsident und berät u. a. die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz in staatskirchenrechtlichen Fragen.

 

Erstmals erschienen in der NZZ vom 13.06.2013

Schreibe einen Kommentar