Mir ist zum Auswandern

Wolf Südbeck-BaurNach so einem Abstimmungs-Sonntag wie dem letzten würde ich am liebsten mein Schweizer Bürgerrecht, das ich neben dem EU-Pass inzwischen auch habe, zurückgeben – mit Grussadresse an alle 1.463.954 Schweizer und Schweizerinnen, die »Ja« gesagt haben zum Stopp angeblicher Masseneinwanderung.

Kommentar von Wolf Südbeck-Baur*

Da ist der Unterschied von 19.526 Stimmen Nein-Stimmen ein schwacher Trost. »Masseneinwanderungsinitiative«: So demagogisch nennt die vom milliardenschweren Chemiefabrikanten Christoph Blocher dirigierte Schweizerische Volkspartei (SVP) ihr Projekt, das Einwanderer schon durch die Wortwahl zu Störenfrieden degradiert, die ausgegrenzt gehören. Das ist in der Schweiz seit einer Woche amtlich.

Was ist das für ein Land, in dem die Mehrheit mir nichts, dir nichts bestimmt, dass Zuwanderer aus EU- und erst recht aus Nicht-EU-Ländern nicht mehr das gleiche Recht haben wie die wackeren Eidgenossen? Was ist das für ein Land, das sich vollmundig der so genannten direkten Demokratie rühmt und mit diesem vermeintlich ach so demokratischen Instrument mal kurz beschließt: »Wir schaffen die Personenfreizügigkeit ab«? Was ist das für ein Land, in dem viele Menschen sich davor fürchten, Ausländer könnten den Schweizern den Rang ablaufen – in der Strassenbahn, auf dem Wohnungsmarkt, an den Fleischtöpfen akademischer Positionen? Was ist das für ein Land, in dem Kapital im diskreten Aktenkoffer willkommener ist als Menschen?

Ja, ich frage mich: In was für einem Land lebe ich nun schon seit über 25 Jahren? Es ist ein Land, in dem zum Beispiel ein sankt-gallisches Dorf wie Heerbrugg mal eben das Bildungsrecht von zwei Kopftuch tragenden Schülerinnen somalischer Herkunft per Volksentscheid mit Füssen tritt –, nur weil eine Dorfmehrheit Kopftücher und damit das Fremde an sich zu einer Gefahr für die eidgenössische Identität hochstilisiert.

Nach solchen Abstimmungs-Sonntagen ist mir nach Auswandern zumute, dorthin wo eine Willkommenskultur und keine Abschottungsstrategie gelebt wird. Es lebt sich schlecht in einem bis weit in die Mitte reichenden gesellschaftlichem Klima, in dem es wieder salonfähig ist, mit nationalistischen Argumenten gegen Menschen zu hetzen und sie auszugrenzen.

Selbst in gewerkschaftlichen Kreisen gibt es Leute, die sich nun trauen zuzugeben, sie hätten der »Masseneinwanderungsinitiative« zugestimmt. Sie merken nicht, wie damit Menschen in ihrer Würde getroffen und verletzt werden. Es lebt sich trotz allen Wohlstands schlecht in einem noch dazu so wunderschönen Land, wenn es keine Vision hat – ausser einer rechtsnationalistischen Verschlagenheit, die Ausländer, Dunkelhäutige, Kopftuchträgerinnen und in der Folge bald wohl alle Andersdenkenden als Sündenböcke in die Wüste schicken will.

Es ist ja so bequem und praktisch, für alle Probleme einer globalisierten Welt die »Einwanderer« verantwortlich zu machen. Gewinnt dieses Denken die Oberhand, werden die Gräben in der Gesellschaft abgrundtief. Die Spaltung der Gesellschaft hat längst begonnen.

Mit diesem Abstimmungsergebnis treibt die Schweiz ihre internationale Isolation voran. Ganz sicher ist schon jetzt: Es wird uns alle auf Jahre beschäftigen. Muss die Schweiz doch ihre bilateralen Verträge mit der EU allesamt neu verhandeln. Ich kann nur hoffen, dass die EU hart bleibt und am europäischen Prinzip der Personenfreizügigkeit festhalten wird im Verhandlungspoker mit den (L)Eidgenossen.

* aufbruch-Redaktor Wolf Südbeck-Baur, Bürger der Schweiz mit deutscher Herkunft, lebt seit 27 Jahren unter Eidgenossen
Der Kommentar ist im Auftrag von Publik-Forum entstanden und erstmals unter www.publik-forum.de publiziert.

7 Gedanken zu „Mir ist zum Auswandern“

  1. Herr Wolf Südbeck-Baur. Weshalb sind Sie denn in die Schweiz eingewandert und haben sich noch um den Schweizerpass bemüht? Sicher nicht, ohne Vorteile für sich zu gewinnen. Wenn Ihnen
    soviel nicht passt, wandern Sie doch wieder zurück. Es hindert Sie niemand daran. Dann haben wir einen unechten Eidgenossen weniger im Land. Ihr Beitrag ist ja schon fast aufwieglerisch! Christlich???

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  2. Wie kann man das Land mit der höchsten Einwanderungsquote als Fremdenfeind bezeichnen? Wieso können Sie nicht in die Probleme tiefer gehen? Wieso könne Sie nicht Ihren nächsten, der Ja gestimmt hat, nicht fragen: warum hast du so gestimmt? Wieso können Sie eine andere Meinung nicht tolerieren? Es ist eben so, dass in der Schweiz, Gott sei dank, die Stimme des Volkes immer noch etwas zählt. Und die Stimme des Bauers zählt wie die Stimme eines ETH-Professors. Wieso haben Sie Mühe damit? Nach 25 Jahren in der Schweiz, verstehen Sie das immer nocht nicht? Glauben Sie die deutschen, wenn Sie dürften, würde sie anders stimmen als die Schweizer? Und die Italiener, die Franzosen, die Spanier, die Griechen?

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  3. Was ist das für ein Land ??????
    Man kann nicht über ein Land lästern, wenn man nach 25 Jahren Aufenthalt die demokratischen Spielregeln immer noch nicht versteht. Und ausserdem – eine Mehrheit hat abgestimmt, dass sie in Zukunft die Geschicke des Landes selber bestimmen wollen. Das ist gut so!
    Und Ihre Argumentationen sind nun wirklich völlig daneben.

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  4. Sehr geehrter Herr Südbeck-Baur. Ich hätte eine etwas differenziertere Stellungnahme erwartet. Stattdessen wird in dieser „Grussadresse“ in das selbe Horn geblasen wie die EU-Funktionäre und die ach so enttäuschten deutschen und schweizerischen Linken, die hyperventilieren, weil das dumme Volk nicht so entscheiden wie sie, die es ja viel besser wissen. Und dann wird die Abstimmung noch verquickt mit den angeblich “islamophoben” Aufwallungen sankt-gallischer Dorfbürger. Seriöser Journalismus sieht anders aus. Nach 27 Jahren in der Schweiz dürfte es Ihnen nicht entgangen sein, dass hier keine “Abschottungsstrategie” gelebt wird. Oder nennt man es Abschottung, wenn ein kleines Land bezogen auf seine Einwohnerzahl mehr Ausländer aufnimmt als die meisten EU-Länder? Nebenbei bemerkt, funktioniert die Integration der Ausländer auch noch recht gut. Natürlich nur bei denen, die sich integrieren wollen, was man von einigen Einwanderern, besonders solchen islamischer Provenienz, nicht immer behaupten kann, um noch einmal auf St. Gallen zurückzukommen. Das alles wird sich auch nach der Volksabstimmung nicht ändern, die Schweiz wird immer noch ein offenes und liberales Land sein. Es geht doch vor allem darum, dass ein souveränes Land sein Selbstbestimmungsrecht wieder wahrnehmen will und selbst entscheidet, wie viele Ausländer es aufnehmen will, statt sich von der EU-Bürokratie bevormunden zu lassen. Umso besser, wenn dieser Entscheid basisdemokratisch legitimiert wird – mit diesem “vermeintlich ach so demokratischen Instrument” der Volksabstimmung, um das uns viele, wenn nicht sogar die meisten, EU-Bürger beneiden. Dass dieses Instrument EU-Politikern und paternalistischen (linken) Intellektuellen ein Dorn im Auge ist, versteht sich von selbst. Ich als Schweizer mit deutschen Migrationshintergrund (25 Jahre in der CH) bin jedenfalls stolz darauf, Bürger eines demokratischen Landes zu sein und werde meinen EU-Pass abgeben, da ich nicht Untertan einer semi-sozialistischen Funktionärsdiktatur sein will. Es sei Ihnen unbenommen, Ihren CH-Pass abzugeben, da Sie ja grösste Mühe damit zu haben scheinen, in einer Demokratie zu leben.

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  5. Mit ihrem Bericht spucken sie in die Suppe, die andere zubereitet haben. Was sie da berichtet haben, ist Journalismus vom tiefsten. Seit 27 Jahren hätten sie die Gelegenheit nutzen können, einen konstruktiven, kritischen überzeugenden Dialog in unserer Gesellschaft mit Respekt aufzubauen. Nicht nur ein Respekt der Schweizer gegenüber den Ausländern ist notwendig, sondern auch der Respekt der Ausländer gegenüber den Schweizern. Es genügt nicht einen Schweizer Pass sein eigen zu nennen, um die Schweiz zu verstehen, das haben sie mit ihren Äusserung glänzend bewiesen. Dieser Anlass könnte ihnen nachträglich Gelegenheit geben, nochmals über die Bücher zu gehen und die Frage zu vertiefen, warum es nicht nur Herr Blocher, sondern etwas mehr als 50% der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen waren, die so gestimmt haben. Was hat diese dazu bewogen so zu stimmen? Dieser Frage seriös nachzugehen wäre positiver als nur den Elefanten im Porzellanladen zu spielen, und ihre persönlichen Ideen an den Mann/Frau zu bringen. Ich wünsche ihnen viel Erfolg nicht nur zu poltern, sondern mit der Bevölkerung beizutragen, dass wir Brüder und Schwestern sind. Dazu wünsche ich ihnen viel Erfolg.

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  6. Ja, lieber Wolf Südbeck. Das war wohl -HUMMEL, HUMMEL- ein Griff ins Nest. Schön, dass Sie Ihre Meinung kundtun. die Theologen in den Kirchen, die Pastoralassistenten aus Deutschland, die Regionalverantwortliche Von St. Verena, die Frau des Personalleiters im Bistum Basel, die vielen Priester aus Afrika, Indien, Polen…gibt es überhaupt noch Priesternachwuchs aus der Schweiz?, die vielen Priester aus Deutschland im Bistum Chur…., die alle werden nichts schreiben und nichts sagen, denn Sie wissen sie sind nur gut bezahlte im Kirchlichen Dienst Tätige, die oftmals nur Kraft ihres Amtes integriert sind. Viele Theologinnen haben minimale Kontakte zur Basis, die Kirche selber hat keine klare und deutliche Stimme in diesen Fragen, sie kuscht, weil sie weiss, dass das Volk anders abstimmen wird, wie von der Kirche vorgeschlagen. Ich behaupte, die grosse Distanz zum Kirchenvolk in solchen Fragen, die allein ist schon problematisch! Was kann Kirche noch vermitteln? Ist alles nur Gesäusel, harmlose Sonntagsansprache von ewig lächelnden Kirchlichen? Wie integriert ist Kirche noch im Volk der Eidgenossen? Wie gesagt, mehr ausländische Theologen, würde ich mit ihrer Meinung erwarten, aber die sind schon lange alle abgetaucht. Business as usuell. The money ttakes ist all…Tja, die Freiheit der Kinder Gottes – die existiert vor allem ausserhalb. Es bleibt spannend, losgelöst von permanenten Personalfragen, Organisationsthemen etc. Ich freue mich auf die kommenden Jahre, in jeglicher Hinsicht…

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  7. Das ist ein guter Bericht, der die Sache mal tiefer beleuchtet. Freu nach I. Kant:Bediene dich deines Verstandes, entferne dich von deiner Unmündigkeit. Aber die ist leider leider leider weit verbreitet. Geschwätz. Parolen. Gesimsel.

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