Asyl: HEKS klagt in Strassburg

Ein Schiff mit Flüchtlingen landet auf Lampedusa (Foto: Flickr.com) Ein Schiff mit Flüchtlingen landet auf Lampedusa (Foto: Flickr.com)

Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) legt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg Beschwerde ein – gegen die Rückschaffung einer Flüchtlingsfamilie nach Italien

Von Martina Läubli

Eine Familie mit fünf Kindern flieht via Iran und Türkei aus Afghanistan nach Europa, in der Hoffnung auf Asyl. Mit einem Boot erreichen sie Süditalien und werden von der italienischen Polizei in ein Flüchtlingszentrum in Bari gebracht. Zwei Familienmitglieder werden im Juli 2011 registriert. Die Familie reist nach Österreich, wo ihr Asylgesuch abgelehnt wird, und im November 2011 weiter in die Schweiz. Hier geschieht dasselbe: Das Bundesamt für Migration (BfM) lehnt das Asylgesuch ab und weist die afghanische Familie zurück nach Italien.

Geschichten wie diese ereignen sich oft. Das Dublin-Abkommen erlaubt es europäischen Ländern nämlich, Asylsuchende in dasjenige Land Europas zurückzuschicken, in dem sie zum ersten Mal registriert wurden. Das Dublin-Abkommen gibt den Behörden – auch in der Schweiz – die Möglichkeit, Asylgesuche rasch zu „erledigen“, indem sie gar nicht darauf eintreten müssen. Auf diese Weise schieben nördliche Länder die Verantwortung für unzählige Flüchtlinge, die auf dem Schiffsweg nach Europa kommen, auf die südlichen Mittelmeerstaaten ab. „Die meisten Dublin-Verfahren werden heute nur sehr schematisch und oberflächlich erledigt“, kritisiert das HEKS im Gespräch mit dem aufbruch. Dies war auch der Fall bei der siebenköpfigen Familie aus Afghanistan. Nach dem negativen Entscheid des BfM wandte sie sich an die HEKS-Rechtsberatungsstelle in Lausanne.

Prekäre Lebensbedingungen in Italien

Das HEKS wehrt sich nun für die Rechte der Familie. Denn Italien sei mit der Unterbringung von Asylsuchenden überfordert, schreibt das Hilfswerk. Es fehle seit Jahren an Unterkunft: „8000 staatliche Aufnahmeplätze stehen aktuell 64 000 anerkannten Flüchtlingen sowie jährlich mehreren 10 000 Asylsuchenden gegenüber.“ Neben dem HEKS verweisen zahlreiche Medienberichte auf prekäre hygienische Verhältnisse und Sicherheitsprobleme in italienischen Flüchtlingslagern, unter denen verletzliche Personen wie Kinder besonders leiden. Auf Lampedusa protestierten im Dezember 2012 zahlreiche Flüchtlinge gegen die desaströsen Zustände. Das HEKS stellt fest: „Es besteht ein ernsthaftes Risiko, dass die Rückschaffung der Familie nach Italien zu einer Verletzung grundlegender Menschenrechte führt.“

Das  Hilfswerk hat nun reagiert und reichte  am 12. Februar eine Beschwerde ein bei der Grossen Kammer des Gerichtshofs für Menschenrechte  Das Gericht soll beurteilen, ob das Wohl der Kinder in Italien gefährdet ist und ob die Schweizer Behörden den Fall genügend abgeklärt haben. „Die Familie wurde nur oberflächlich befragt und erhielt einen Nichteintretens-Entscheid, der aus Standard-Textbausteinen bestand“, kritisiert das HEKS. So habe die Familie die Lebensumstände in Italien erst schildern können, nachdem das Hilfswerk einen Dolmetscher organisiert habe. Zwar ist es nicht das erste Mal, dass sich das evangelische Hilfswerk im Namen von Flüchtlingen an internationale Instanzen wendet.  Doch dies geschehe nur in ausgewählten Fällen, in denen sich grundlegende menschenrechtliche Fragen stellen. Sich anwaltschaftlich für die Rechte von Flüchtlingen einzusetzen, sei „Bestandteil der Arbeit unserer Rechtsberatungsstellen“, sagt HEKS-Sprecherin Bettina Filacanavo gegenüber dem aufbruch.

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 Wegweisendes Urteil

„Dass die Beschwerde in Strassburg aufgenommen und an die Grosse Kammer weitergeleitet wurde, zeigt, wie bedeutsam der Fall ist“, so das Hilfswerk. Es spricht von einer Signalwirkung: „Es ist äusserst relevant, wie sich die Strassburger Richter aus menschenrechtlicher Sicht zu den schwierigen Zuständen im italienischen Asylsystem äussern werden.“ Bei der Verhandlung habe es kritische Rückfragen an die Adresse der Schweiz gegeben. So habe sich eine Richterin erkundigt, ob die Schweizer Behörden im vorliegenden Fall das Wohl der Kinder berücksichtigt hätten. Und die Richterin aus der Schweiz wollte wissen, ob den Behörden zum Zeitpunkt des Entscheids bekannt gewesen sei, dass andere Länder bereits keine Asylsuchenden mehr nach Italien zurückgeschickt hätten, wie zum Beispiel Deutschland nach mehreren Gerichtsurteilen. Das HEKS hofft, dass der Gerichtsentscheid noch dieses Jahr gefällt wird. Filacanavo sagt: „Wir sind  optimistisch, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte diese Praxis positiv beeinflussen wird“ – und an den Konventionen des Dublin-Abkommens rüttelt.

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