Kirchenasyl Basel: Offener Brief stellt kritische Fragen

Schuhe vor dem ehemaligen Schlafraum der inzwischen verhafteten Asylsuchenden. (Foto: Südbeck-Baur) Schuhe vor dem ehemaligen Schlafraum der inzwischen verhafteten Asylsuchenden. (Foto: Südbeck-Baur)

Das Kirchenasyl in der Basler Matthäuskirche endete mit der Verhaftung der Schutzsuchenden und ist anfangs März gründlich gescheitert. Der Kirchenrat hatte die Aktion als Kirchenbetzung und Hausfriedensbruch bezeichnet. In einem Offenen Brief wird nun Kritik am Vorgehen des Kirchenrats laut: Weshalb fehlt in der reformierten Kirche Basel-Stadt das Vertrauen in eine Zukunft, die  anders aussehen wird, aber immer noch in Gottes Hand liegt? Weshalb regiert die Furcht vor Verlust unsere Kirchengeschäfte? Mit diesen kritischen Fragen wenden sich Ines Rivera, reformierte Pfarrerin i.R., und Paul Jenkins, früherer Archivar von Mission 21, an das Basler reformierte Kirchenparlament und an die Kirchenmitglieder. Der aufbruch dokumentiert den Offenen Brief im Wortlaut.

Liebe Synodale, liebe Kirchenmitglieder

Wir sind besorgt. Was in letzter Zeit in Sachen Migration an Äusserungen von Seiten der Evangelisch Reformierten Kirche Basel-Stadt ERK zu lesen war, beunruhigt uns.

Wir sind aktive Kirchenmitglieder und möchten daran erinnern: Das Evangelium ruft uns auf, die Angst zu überwinden. Die Praxis unserer Kirche ist aber von der Angst um Besitzverlust oder Beschädigung des Besitzes gekennzeichnet. Kirchen werden für geschlossen erklärt, um allfälligen Vorkommnissen zuvorzukommen. Gleichzeitig aber engagieren sich zahlreiche Freiwillige und auch kirchlich Angestellte für Migrantinnen und Migranten. Wir selber tun das über konfessionelle Grenzen hinweg und verstehen nicht, wenn mit längst überwundenen kulturkämpferischen Parolen diese Tätigkeit abgewertet wird. Als Mitglieder des Solinetzes  schätzen wir den Einsatz des katholischen und zutiefst christlich eingestellten Christoph A. und kennen keine Berührungsängste. Wir wollen für die Menschen, die uns brauchen, da sein und wir tun es mit allen, die dies auch tun. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.

Uns geht es seit Jahrzehnten ausserordentlich gut. Die Dankbarkeit kann sich aber nicht im Psalmensingen erschöpfen. Was können Kirchen alles bewirken! Wenn wir über unsern selbstgezimmerten Gartenzaun hinausschauen, sehen wir wie etwa die kleine Waldenserkirche in Italien sich mit Mediterranean Hope und dem humanitären Korridor in ausserordentlicher Weise einsetzt. Oder wir sehen die Kirchen in Nordostnigeria, die Sorge tragen, dass auch muslimische Mitflüchtlinge von Hilfsgüter christlicher Freunde versorgt werden. Dagegen vermissen wir hier die Ueberzeugung, dass wir im Zweifelsfall berufen sind, die Option für die Armen zu wählen. Und wir vermissen auch den christlich-humanistischen Eifer, ständig die Öffentlichkeit daran zu erinnern, dass Flüchtlinge und Migranten Menschen sind, die oft verzweifelt einen neuen Kontext suchen, in dem sie ihre Begabungen zu guter Entfaltung bringen können.

Ob es ein Kirchenasyl heute gibt oder nicht, das ist keine rein juristische Frage. Wenn moderne Menschen die Kirchen als Schutzraum sehen, in dem geredet, diskutiert und auch ausgeruht wird, dann sollte uns dies zum Nachdenken bringen. Offenbar wird da doch ein Sinn in der Kirche gesehen, auch hundert Jahre nach der Trennung von Kirche und Staat. Im Übrigen haben Sakralbauten schon in der Antike verfolgten Menschen einen Schutzraum geboten. Und was meint wohl der alttestamentliche Vers in Psalm 23,5: Du deckst mir den Tisch im Angesicht meiner Feinde?

Weshalb fehlt bei uns das Vertrauen in eine Zukunft, die eben anders aussehen wird, aber immer noch in Gottes Hand liegt? Weshalb regiert die Furcht vor Verlust unsere Kirchengeschäfte? Dabei sind wir  daran, die Jugend zu verlieren, jenen Teil der Jugend, der mitgestalten will und sich Gedanken macht um diese Welt, nicht nur um die eigene Karriere.

Liebe mit der Kirche Verbundene, ist unsere Kirche müde geworden, wie ein frustrierter alter Mensch, stur und eigensinnig, ohne weiteren Horizont?

Was für eine Kirche wollt Ihr?

Mit hoffnungsvollen Grüssen

Paul Jenkins & Ines Rivera

2 Gedanken zu „Kirchenasyl Basel: Offener Brief stellt kritische Fragen“

  1. Der Offene Brief stellt nicht nur richtige Fragen, er zeigt auch einen glaubwürdigeren Weg aus der allerorten festzustellenden Sinnkrise in der Gesellschaft und ihren Kirchen. Danke für diese offene Worte, die hoffentlich eine gute und fruchtbare Debatte anstossen werden.

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  2. Schliesse mich dem Inhalt und der darin ausgesprochenen Besorgnis vollumfänglich an. Eine kritische Beleuchtung der Asyl- und Migrationspolitik, eines zentralen Bereichs des gesellschaftlichen Engagements der christlichen Kirchen, war überfällig. Glaubwürdig ist die kirchliche Sozialverkündigung nur, wenn sie einer entsprechenden kirchlichen Praxis korrespondiert. Gerade in der Ausländer- und Asylpolitik steht die Kirche selbst „auf dem Prüfstand“. Immer wieder wird deswegen an die Christen in den Gemeinden appellliert „Kirchtumdenken“ zu überwinden und sich um wirksame Solidarität zu bemühen, die als Konsequenz auch zu der moralischen Verpflichtung führen kann, Asylsuchende und Flüchtlinge in den Gemeinden aufzunehmen.

    Allein rechtliche Regelungen reichen nicht aus, um Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben mit Perspektiven für die Zukunft zu ermöglichen. Zu den institutionellen Rahmenbedingungen (Recht, Rechtssprechung, Verhalten der Behörden) müssen Engagement und Offenheit der Bevölkerung hinzukommen.

    Die christlichen Gemeinden sollten Erfahrungsfelder und „Zukunftswerkstätten“ (Begriff von R. Jungk) sein und bzw. werden, in denen ein angstfreier Umgang zwischen Einheimischen und Zuwanderern eingeübt und darüber hinaus die Asyldiskussion auf eine Diskussion um Fluchtursachenbekämpfung und Migrationspolitik insgesamt hin aufgebrochen werden.

    Jeder Mensch in einer Notsituation ist eine Herausforderung für den Christen, der unter dem Liebesgebot steht.

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