Der lange Arm des Opus Dei

Viele Schweizer Katholiken staunten nicht schlecht, als Bischof Vitus Huonder von Papst Franziskus gebeten wurde, für zwei weitere Jahre die Geschicke des Bistums Chur zu leiten. Kirchenkenner vermuten dahinter den ungebrochenen Einfluss der konservativen „Kampftruppe Gottes“ Opus Dei. Andere sagen, der Papst wollte Zeit gewinnen, um einen geeigneten Nachfolger für den polarisierenden Bischof Huonder zu finden. Der 75jährige Huonder hatte Ende April sein obligates Rücktrittsgesuch in Rom eingereicht.

Wolf Südbeck-Baur

Auf den ersten Blick erscheint es abwegig, bei der Nachfolge von Bischof Vitus Huonder einen Einfluss des Opus Dei zu vermuten. Doch wer die kurialen Entscheidungswege im Vatikan genauer unter die Lupe nimmt, stellt Zusammenhänge fest, die einen Einfluss des Opus Dei durchaus nahe legen. So firmieren laut Opus Dei-Kenner Peter Hertel auf der Mitgliederliste der 31-köpfigen Bischofskongregation soweit bekannt zwar keine Mitglieder des Opus Dei. „In der Regel sind Kardinäle Diözesanpriester, die gleichzeitig nicht Mitglied der Personalprälatur Opus Dei sein können“, erklärt Publizist Hertel auf aufbruch-Anfrage. Kardinäle könnten aber durchaus der „Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz“ angehören, deren Mitgliedsnamen geheim seien. Ihr Chef sei der Leiter des Opus Dei. Ausserdem habe die Bischofskongregation von den 25 Kardinälen einige in ihren Reihen, „die Sympathien für das Opus Dei haben, beziehungsweise ihm nahe stehen“. Dazu gehört auch der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, Präfekt des Päpstlichen Rates für die Einheit der Kirche.

Peter Hertel, Theologe, Publizist und Buchautor, betont im Hinblick auf die Entscheidungswege der Bischofskongregation: „Wie bei allen Kongregationen werden an Sitzungen in Rom für den Papst entscheidungsreife Vorlagen erarbeitet.“ An den Sitzungen, erklärt der 79-Jährige Opus-Kritiker weiter, könnten alle Kongregationsmitglieder teilnehmen. Aber in aller Regel kämen nur die Mitarbeiter der Kongregation, die in Rom wohnen. „Das sind nicht nur einige der Kardinäle, sondern auch Priester, selbst wenige Laien. Zu diesen Mitarbeitern der Dikasterien gehören auch Priester und Laien des Opus Dei.“

Als Hertel vor zehn Jahren das Vatikanische Jahrbuch – hier sind die Namen der Mitarbeiter in Kongregationen und Dikasterien aufgeführt – durchforstete, entdeckte er etwa 70 Opus-Dei-Mitglieder, die im Vatikan und seinen Institutionen tätig sind. Da die Opus-Dei-Mitglieder, die im Vatikan tätig sind, in der Regel in Rom wohnen, sagt Hertel, können sie im Gegensatz zu den nicht in Rom wohnenden Kongregations-Mitgliedern und -Mitarbeitern immer an den Sitzungen teilnehmen. „Deshalb hat das Opus Dei einen entsprechend grösseren Einfluss auf die Entscheidungen“, folgert Hertel und unterstreicht: „Die Mitarbeiter erarbeiten und bereiten die Beschlüsse vor, die dann, wenn die Kongregations-Kardinäle aus aller Welt anreisen, beraten werden.“ Dabei würden die Entscheidungsvorlagen häufig unverändert akzeptiert und dem Papst zur Unterschrift weitergeleitet. Aus diesem formal anmutenden Grund „kommt den in Rom wohnenden Kongregationsmitgliedern grosses Gewicht zu, besonders wenn es sich wie im Fall von Kurt Koch um Kardinäle handelt“.

Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass Kardinal Koch als in Rom residierender Kardinal und als Präfekt des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen umso stärkeren Einfluss auf Entscheidungen hat, die im Hinblick auf die Schweiz getroffen werden. Es sei daher schwer zu vermuten, dass „sein Urteil, wenn es um die Schweiz geht, auch auf Kardinalskollegen Eindruck macht“.

Auch wer dieser Einschätzung entgegnet, der Papst habe mit der zweijährigen Amtszeitverlängerung von Bischof Huonder Zeit gewinnen wollen, um die Huonder-Nachfolge auf dem Churer Bischofsstuhl gründlich vorbereiten zu können, muss bedenken, dass der konservative Nuntius in Bern, Erzbischof Thomas Gullickson, theologisch und kirchenpolitisch eher auf der Seite von Bischof Huonder und seinen Mannen steht. Unbeschadet des Einflusses des Berner Nuntius auf die Erstellung der Liste mit valablen Bischofskandidaten bleiben die Einflussmöglichkeiten der in Rom residierenden Opus-Dei-Mitglieder mit Sicherheit intakt. Und sie haben mit Kardinal Kurt Koch einen auf den Papst einflussreichen Kardinal, der offene Ohren für die Anliegen des Opus Dei hat.

 

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