Fantastisches Abschlusskonzert eines aussergewöhnlichen Chorprojekts

MontagsChor Konzert Opernhaus ZH (4)Samstagnachmittag, Zürich, Bahnhofshalle, Treppe des ehrwürdigen Opernhauses – würdiger hätte der Rahmen für die Abschlusskonzerts des Nontagschors kaum ausfallen können. Aus Sicht der aufbruch-Reporterin Thala Linder war es ein fantastischer Abschluss des von Christoph Homberger initiierten Chorprojekts „S isch äbe ne Mönsch“, bei dem Flüchtlinge, Schweizerinnen und Schweizer zusammen Schweizer Lieder zu Gehör brachten.

Von Thala Linder

Samstag, 3.April, 14.50 Uhr: Wer die Bahnhofshalle des Zürcher Hauptbahnhofs betritt, sieht eine kreisförmig aufgestellte Menschenmasse. Viele Passanten bleiben verwundert stehen, recken die Hälse, um zu sehen, was Zentrum dieser Menschenansammlung ist. Es werden Flyer verteilt, die informieren, dass dies das Abschlusskonzert des Montagschores ist (der aufbruch berichtete in der Printausgabe Nr. 219).
Um Punkt 15.00 Uhr steigt Dirigent Christoph Homberger auf ein Podest. Auf sein Zeichen beginnt der Chor zu singen: „Sisch. S isch. S isch äbe ne mänsch uf Erde“. Das Abschlusskonzert des Montagschores hat begonnen. Die Bahnhofshalle wird vom Klang der Stimmen erfüllt. Manch einer bleibt stehen, hört zu, singt mit. Es ist nicht auszumachen, wer zum Chor gehört, wer Publikum und wer Passant ist, Touristen, Flüchtlinge und Menschen mit rotem Pass vermischen sich. Eine ältere Dame singt auswendig mit. Sie sei extra aus Schaffhausen angereist, um beim Konzert dabei zu sein. Denn: „Als Kind sind wir geflüchtet. Luegid vo Bärg und vo Tal war das erste Lied, dass ich bei meiner Rückkehr in die Schweiz gelernt habe“. Sie ist begeistert, wie so viele verschiedene Menschen gemeinsam singen.

„Mir werden die Proben fehlen“ Ghirmey aus Eritrea

 

Nach einer halben Stunde ist das Konzert vorbei, schnell löst sich die Menschenmenge auf. Christoph Homberger wird von Journalisten belagert. Grüppchenweise brechen die Chromitglieder Richtung Opernhaus auf. Ghirmey, 28, aus Eritrea steht etwas verloren in der grossen Halle. “Es war schön“, meint er und freut sich über die vielen Menschen, die gekommen sind. Gleichzeitig ist er traurig, dass das Projekt jetzt zu Ende ist. „Mir werden die Proben, die Gemeinschaft am Montagabend fehlen“.

16 Uhr: Vor dem Opernhaus versammeln sich gegen 2000 Menschen, um an diesem Event dabei zu sein. Neuankömmlinge werden angewiesen: „Dort steht der Chor, hier das Publikum“. Doch so richtig gelingt diese Aufteilung nicht. Zu Beginn des Konzertes hat sich ein Kreis um das Akkordeon-Orchester gebildet, das die Sängerinnen und Sänger begleitet. Auf der Publikumsseite stehen etwa doppelt so viele Menschen, wie auf Seiten des Chores. Wer an den Proben dabei war, ist irritiert ab der Zusammenstellung des Chores. Sangen an den Proben etwa 100 in der Schweiz sesshafte Menschen und mehrere Hundert Flüchtlinge mit, sind die Verhältnisse heute umgekehrt. Im Publikum wird darüber ausgetauscht, wen man im Chor alles kenne. Eine Stimme meint: „Es sieht nicht nach Asylanten aus.“

Robert möchte einen Verein gründen, um Anwälte zu finanzieren, welche Flüchtlinge juristisch unterstützen.

 

Robert, der bei den Proben liebevoll dafür gesorgt hat, dass die jugendlichen Flüchtlinge die Probe nicht stören, meint: „Vielleicht war es den Schweizerinnen bei den Proben einfach zu chaotisch und deshalb kommen sie erst heute.“ Er schätzt, dass von den Flüchtlingen etwa 5 Prozent da seien und findet das nachvollziehbar. Selber hat er auch am Projekt teilgenommen, um zu profitieren. “Wir müssen aufhören, uns gut christlich aufzuopfern und den Flüchtlingen von oben herab zu helfen. Man kann doch auch eine win-win Situation suchen.“ So hat er bewusst mit einer Familie Kontakt aufgenommen, die er als Rechtsanwalt juristisch unterstützt und kann so berufliche Erfahrung in einem für ihn neuen Gebiet sammeln. Nun möchte er einen Verein gründen, um Anwälte zu finanzieren, welche Flüchtlinge juristisch unterstützen.
Das Konzert beginnt mit einer einfachen Stimmübung, die dank Hombergers Geschick bald zu einem Kanon mit Beteiligung des Publikums wird. In der vordersten Reihe kämpfen einige Flüchtlinge mit den Tränen. „Iitz weissi wäri bi, izt weissi was i cha. I gib mi ganz so wieni bi, i hoff du nimmsch mi aa“. Die Volksweise wird in diesem Kontext zu einem politischen Statement.

„Man kann ein Zeichen setzen.“ Dirigent Christoph Homberger

 

16.40 Uhr: Nach dem Konzert bleiben viele Leute auf dem Sechseleutenplatz stehen. Flüchtlinge posieren mit Schweizern für Erinnerungsfotos. Man umarmt sich. Jemand verteilt Rosen. Mit einem Schlussfest in der roten Fabrik wird das Projekt zu Ende gehen. Auf sein Fazit angesprochen meint Hombi, wie die Chormitglieder ihren Dirigenten liebevoll nennen: „Fantastisch! Ich habe ein Zeichen gesetzt, neben all den andern Zeichen.“ Nach einer kurzen Gedankenpause meint er: „Man kann ein Zeichen setzen!“
* Thala Linder ist Mitglied des aufbruch-Redaktionsteams. Hauptberuflich wirkt sie als reformierte Pfarrerin in Solothurn

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