Nackte Fragen auf dem Weg hin zu Weihnachten

Es ist Dezember geworden – Zeit des Advents, der Ankunft. Menschen auf der ganzen Welt bereiten sich in den letzten Wochen auf die Ankunft Jesu Christi vor, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern. Wer derzeit auf Weihnachtsmärkten unterwegs ist, sich auf einen Glühwein, Raclette oder Crêpes trifft, dem fällt es wohl schwer, sich vorzustellen, dass der Advent einst eine Zeit des Fastens und der Busse war. Jenseits von Geschenkestress und Dekowahn ging es darum, sich innerlich und äußerlich auf die Geburt Jesu als zweithöchstes christliches Fest vorzubereiten.

Von Anna K. Flamm

Vorbereitung und Fest – Adventszeit und Weihnachten. Sie gehören zusammen. Wie aber bereitet man sich adäquat auf diese ganz besondere Geburtstagsfeier vor? Wie gelingt es, das Fest für sich einzuordnen? Ein bewusstes Verhältnis dazu einzunehmen? Diese Fragen habe ich mir dieses Jahr wieder einmal ganz bewusst gestellt und die letzten Adventswochen genutzt, um mithilfe zweier Bücher von Pater Ermes Ronchi Weihnachten und der christlichen Botschaft tiefer auf den Grund zu gehen.

Die nackten Fragen des Evangeliums

Das erste Buch trägt den Titel „Die nackten Fragen des Evangeliums“ und geht zurück auf die Fastenexerzitien, die Pater Ermes Ronchi OSM Anfang März 2016 für den Papst und die Kurie im Vatikan gehalten hat. Anhand von zehn wesentlichen Fragen Jesu, die ins Zentrum des christlichen Glaubens führen, nimmt Ronchi das Evangelium in den Blick: Was sucht ihr? – Warum habt ihr solche Angst? – Womit kann man das Salz wieder salzig machen? Ihr aber, für wen haltet ihr mich? – Siehst du diese Frau? – Wie viele Brote habt ihr? – Frau, hat dich keiner verurteilt? – Frau, warum weinst du? Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? – Wie soll das geschehen?

Am Anfang schuf Gott das Fragezeichen

„Fragen bergen Schätze und können uns Neues offenbaren. In dieser Zeit der Reflexion sind wir eingeladen zu hören: zu hören auf einen Gott der Fragen; […] Und statt gleich nach Antworten zu suchen, sollten wir erst einmal die Fragen stehen lassen, sie in uns aufnehmen, ihnen nachspüren: den nackten Fragen des Evangeliums. Die Fragen lieben! […] Weil sie bereits Offenbarung sind!“ – Zehn Denkanstössen, die jeweils sorgsam um einen Evangelientext kreisen, nehmen die Lesenden mit auf einen Weg, der darauf angelegt ist, sich anhand von Fragen neue Perspektiven zu erschliessen, statt althergebrachte Antworten stumpf zu wiederholen. Die Frohe Botschaft von innen heraus, unverstellt zu verstehen, das ist dabei das Ziel.

Aktuelle Themen nachvollziehbar eingebracht

Ronchi gelingt es in seinen Meditationen nicht nur, einfühlsam zurück zu den Wurzeln der Offenbarung zu finden, er schafft es auch, von deren Basis aus, gut nachvollziehbare, lebenspraktische Bezüge zu vielen aktuellen Themen herzustellen, auch zu solchen, die in theologischen Kreisen gerne einmal als „heisse Eisen“ gemieden werden: die Rolle der Frau in der Kirche, langweilig-uninspirierte Predigten, unbewegliche Systeme, Prunksucht und Machtgehabe. Der Ton bleibt in seiner ehrlichen Offenheit dabei barmherzig und motivierend, sich aktiv als freie:n Dialogpartner:in Gottes einzubringen.

Was sucht ihr?

„Was sucht ihr?“ – Eine vermeintlich simple Frage, schmucklos und unverhüllt gestellt. Sie hat es in sich, denn sie zielt auf das ganze Leben, das ganze Selbst. Und sie offenbart, wofür Gott sich interessiert: für uns als konkretes Gegenüber, dem schliesslich die folgenschwere Frage gestellt wird: „Liebst du mich?“ Mich fordert die Frage von Anfang an dazu auf, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, Position zu beziehen: Was suche ich in meinem Leben, jetzt? Und welche Auswirkungen hat das auf meine Lebensführung, den Umgang mit mir selbst und anderen? Die Frage stösst in mir einen Reflexionsprozess an, der mich das gesamte Buch über begleitet und mich auf meinem Weg des Antworten-Suchens nicht mehr loslässt. Sie hakt nach, inwieweit ich mich selbst auf Jesus, seine liebevolle Zusage und auf die nahegekommene Gottesherrschaft einlassen möchte, die mit Weihnachten sichtbare Gestalt bekommt.

„Die Weihnachtsüberraschung oder: Was da drinsteckt“

Welche unentdeckten Schätze die weihnachtlichen Texte der Bibel zu bieten haben, wenn man sie mit neuen Augen liest, das lässt sich im Buch „Die Weihnachtsüberraschung oder: Was da drinsteckt“ entdecken. Ronchi macht hier deutlich:

„An Weihnachten feiern wir nicht eine Erinnerung, sondern eine Prophetie, eine Verheissung. Weihnachten, das ist kein sentimentales Fest, sondern insgeheim der eigentliche Wendepunkt der Geschichte. In einen Kontext hinein, in dem Menschen zu einer Nummer zu werden drohen und nicht die Würde des einzelnen, sondern Zahlen zählen, wird dieses Kind geboren! Gott wird Mensch.“ Er nimmt die Lesenden mit in die Tiefe christlicher Erlösungsgeschichte, arbeitet deutlich heraus, dass die Erlösung nicht erst mit Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu beginnt, sondern mit seiner Geburt. Dieses Weihnachtsgeheimnis neu zu begreifen, macht das Buch zu einer tollen Ergänzung der nackten Fragen und bietet sich gerade in der Adventszeit als hilfreiche Lektüre an.

Ermes Ronchi: Die nackten Fragen des Evangeliums. Verlag Neue Stadt. 192 Seiten.
Ermes Ronchi: Die Weihnachtsüberraschung oder: Was da drinsteckt. Verlag Neue Stadt. 136 Seiten.

1 Gedanke zu „Nackte Fragen auf dem Weg hin zu Weihnachten“

  1. Die Zukunft des Weihnachtsfestes – der Versuch einer sehr persönlichen Antwort

    Der Artikel trägt die Überschrift „Nackte Fragen auf dem Weg hin zu Weihnachten“.

    Die Autorin stellt die zehn Fragen des Paters Ronchi in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Ronchi hatte diese Fragen anhand der Lektüre des NT formuliert. Im obigen Artikel heißt es u.a. weiter: „Was sucht ihr?“ Genau diese Frage bewegt mich seit vielen Jahren; im Folgenden möchte ich eine Antwort aus meiner Sicht zu geben versuchen.
    Ich glaube, dass das christliche(!) Gedankengut des Weihnachtsfestes sich immer weiter „verflüchtigen“ wird – genau wie christlicher Glaube und kirchliche Performance immer weiter verdunsten bzw. an Bedeutung verlieren werden. Gottesdienste und Kirchen werden zunehmend von Menschen ignoriert werden. Dass diese traurige Entwicklung – wie alle aktuellen Umfragen und die nackten Zahlen an Gottesdienstbesuchern, Anzahl der Priesteramtskandidaten in Priesterseminaren, Sakramentenspendungen, u.v.a.m. nachhaltig untermauern – , in wesentlichen Teilen auch innerkatholisch „hausgemacht“ ist (strikter Reformverweigerungskurs der Amtskirchenführung seit dem Abschluss des 2. Vatikanums 1965), sei hier nur am Rande erwähnt.
    Mich interessiert die Frage: Was wird von Weihnachten bleiben? Meine Prognose sieht folgendermaßen aus: Der Begriff „Weihnachten“ wird bleiben – aber inhaltlich wird der christliche Hintergrund dieses Festes immer stärker in den Hintergrund treten und irgendwann in Vergessenheit geraten. Die Erinnerungen an Volkszählung, Kaiser Augustus, Flucht nach Ägypten, u.a.m. werden bei den Gläubigen einer biblischen Amnesie zum Opfer fallen.
    Was aber wird bleiben? Bleiben wird aus meiner Sicht der Wunsch vieler Menschen nach Gemeinschaft, nach Tischgemeinschaft, so wie diese Tischgemeinschaft vom Mann aus Nazareth und die Personen der Urkirche sie über einen langen Zeitraum praktiziert haben. Die Gedanken von „Agape“ und „Gemeinschaft“ werden überdauern. Es gibt aus meiner Perspektive bei allen Menschen einen „Urwunsch“ nach Gemeinschaft, nach Zusammen-Sein, nach einem Gemeinschaft stiftenden Mahl (Agape), der Menschen in ihrer Selbstvergewisserung zur Verwirklichung von Frieden, Barmherzigkeit und Humanität immer wieder zusammenführen wird.
    In Kürze zusammengefasst: Weihnachten wird immer stärker zu einem „Tischgemeinschaftsfest“ werden, an dem die um einen Tisch Sitzenden sich nicht mehr an Krippenspiel, „Stille Nacht, heilige Nacht“ und an den „holden Knaben im lockigen Haar“ erinnern werden, sondern der Erfahrungsaustausch und das soziale Miteinander mit meinen Nachbarn, meinen Freunden, meinen Familienangehörigen werden im Mittelpunkt stehen.
    Nach meinen Vorstellungen wird durch diese Art der „Tischgemeinschaftsfeste“ der zentrale Gedanke des Weihnachtsfestes auf eine unnachahmlich authentische Art und Weise praktiziert, nämlich der Gedanke, dass Gott Mensch geworden ist. Immer dann, wenn Menschen in dieser Tischgemeinschaft sich in liebevoller Weise miteinander verbunden wissen, immer dann ereignet sich „Weihnachten“ – auch im Hochsommer des Kalenderjahres.
    Wenn im obigen Artikel die Frage gestellt wird: „Was sucht ihr?“ , so spiegelt die Antwort der Autorin genau meine Prognose wider:
    „Eine vermeintlich simple Frage, schmucklos und unverhüllt gestellt. Sie hat es in sich, denn sie zielt auf das ganze Leben, das ganze Selbst. Und sie offenbart, wofür Gott sich interessiert: für uns als konkretes Gegenüber…“ Der Dienst am Nächsten und das Interesse für mein „konkretes Gegenüber“ sind die unzerstörbaren Gedanken des Weihnachtsfestesk. Diese Gedanken und ihre konkreten Ausführungen werden bleiben, solange es menschliche Gemeinschaften gibt.
    In diesem Sinne wünsche ich allen „aufbruch“-Lesern ein „Gesegnetes Weihnachtsfest“

    Paul Haverkamp, Lingen

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