Reste un peu

Für den Jungen sephardischer Herkunft war es ein von der Familie auferlegtes Tabu, eine Kirche zu betreten. Mit dieser Schilderung aus der Jugendzeit wird der Film des marokkanisch-jüdischen Regisseurs Gad Elmaleh eingeleitet. Elterliche Untersagungen haben eine hohe Faszinationskraft, denn der Protagonist konvertiert zur katholischen Kirche. Im Abspann des Films wird ein Zitat des französischen Kardinals Jean Marie Lustiger, ebenfalls ein jüdischer Konvertit, eingeblendet. Hier zeigt sich, dass der heiter daherkommende Film das Thema des Religionswechsels doch mit gebührender Ernsthaftigkeit zu behandeln bemüht ist.

Filmkritik von Gian Rudin

Der Film ist von einer bemerkenswerten Machart: Er vereint autobiographisch-dokumentarische Elemente mit humoristischer Erzählkunst. Es überwiegt trotz der anspruchsvollen Thematik ein heiter-zuversichtlicher Grundton. Gad erzählt die Geschichte seiner eigenen Konversion mit einem scharfsinnigen Sensorium für gängige Klischees und einer lustvollen Prise Selbstironie. Das macht diesen Film unterhaltsam und zugleich gesellschaftlich relevant.

Die Thematik des sich abzeichnenden familiären Entfremdungsprozesses wird auf mehreren Ebenen verhandelt. Der Sohn schläft nicht mehr in der Wohnung der Eltern und das löst beim Vater Kopfzerbrechen aus. So äussert er gegenüber der Frau in der Vertrautheit des Ehebettes, dass das
Hotelzimmer wohl viel zu teuer sei. Die Schwierigkeit, die Autonomie des Sohnes zu akzeptieren, zeigt sich auch, als die Mutter im Koffer wühlt und dort eine Statue der Jungfrau Maria entdeckt. Der Koffer dient hier als Sinnbild für die Intimität des Menschen. In diesem vertrauten Rahmen des je eigenen Innenlebens werden auch persönliche Dinge wie religiöse Gefühle kultiviert. Die Unverfrorenheit der Mutter beim Blick in den Koffer enthüllt eine psychologisch komplizierte Eltern-Kind-Konstellation. Die Emanzipation vom elterlichen Hausstand macht sich dann in extremis auch in der Entscheidung zur Taufe sichtbar. Gad hadert mit sich, wie er seine Entscheidung den Eltern kommunizieren soll. Die Infragestellungen familiärer und traditionsgebundener Selbstverständlichkeiten ist ein delikates Thema. Der Film will aber in erster Linie kein Beitrag zur komplexen Frage der jüdischen Identität oder Religion leisten, sondern versteht sich gemäss dem Regisseur eher als eine Auseinandersetzung mit der sephardischen Kultur.

Der Film wird als Mockumentary angepriesen. Diese Einordnung ist in meinen Augen zweifelhaft. Hier wird keine Dokumentation vorgetäuscht, sondern das Erzählte hat einen unverrückbar autobiographischen Kern. Der Mockumentary «Religulous» beispielsweise, welcher in einem distanziert herablassenden Gestus das Phänomen Religion auf die Schippe nimmt, war in keiner Weise an einer dokumentarischen Darstellungsform interessiert. «Reste un peu» hingegen hat einen verständnisvoll-empathischen Blick auf religiöse Klischees und regt zum Mit-statt Auslachen an. Elmaleh hat seinen Film aus einer Betroffenheitsperspektive heraus gedreht und das verleiht ihm einen lebensechten Charme. Es darf herzlich gelacht werden, wenn Gad seine eigene Taufe im Schwimmbad mit dem Bademeister übt. Es entsteht aber auch Raum für vertieftes Nachdenken, wenn der Hauptdarsteller mit einem im Rollstuhl sitzenden Agnostiker die Sinnhaftigkeit religiöser Rituale erörtert. Der Film löst im Zuschauenden verschiedene Emotionen aus und trifft so den Kern der im Film verhandelten Angelegenheit zielgenau.

Der Film „Reste un peu“ kommt ab dem 22. Juni in den Kinos der Deutschschweiz. Er ist unter anderem zu sehen im:
kult.kino atelier in Basel
CineMovie in Bern
Arthouse Le Paris in Zürich

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