„Wir brauchen Gesetze zum Schutz unserer Nachkommen“

Auf Einladung der Schweizer Sektion der Ärztinnen und Ärzte für soziale Verantwortung diskutierten Mediziner erstmals mit Juristen und Experten aus aller Welt an einem viertägigen Kongress kürzlich in Basel Aspekte der Menschenrechte und künftiger Generationen im nuklearen Zeitalter. Mit dem Kongress ist ein Anfang geschafft.

Kongressmitglieder

Mediziner und Juristen sind sich einig, dass die zweifellos ernsthaft gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Atomtechnologie nicht nur in allen Bereichen des Rechts zu berücksichtigen sind, sondern eine ganz neue Kategorie des Rechts rechtfertigen: das Recht künftiger Generationen auf intakte Lebensvoraussetzungen. «Das nukleare Zeitalter hat kosmische Dimensionen. Niemals zuvor in der Geschichte hat das, was wir in der Gegenwart tun, potenziell derart katastrophale Konsequenzen für die nachkommenden Generationen. Wir müssen uns mit einer neuen Verantwortlichkeit beschäftigen. Wir brauchen Gesetze zum Schutz unseren Nachkommen. Und wir brauchen eine Philosophie, die das ethische Fundament der Verantwortlichkeit auf die Zukunft ausdehnt.» Emilie Gaillard, französische Juristin an der Universität Caen-Normandie, beruft sich auf den Verantwortungsethiker Hans Jonas, der angesichts der epochalen Dimensionen dieser Aufgabe und des vorherrschenden Glaubens an die technische Machbarkeit bereits vor Jahrzehnten meinte: «Wir können es nur versuchen.»

Atomrisiko ist Verletzung der Menschenrechte
Vor diesem Hintergrund bekräftigen die Ärzte, Juristen und Experten in der Schlusserklärung der Basler Konferenz, dass „die Risiken und Auswirkungen von Atomwaffen und Atomenergie, die Landesgrenzen überschreiten und Generationen übergreifend sind, eine Verletzung der Menschenrechte darstellen. Sie sind ein Verstoss gegen internationale Menschen- und Umweltrechte sowie ein Verbrechen gegen künftige Generationen“. Das ist ein ganz neuer Rechtsbereich, eine neue Rechtskategorie, die bisher noch nicht im juristischen Alltag angekommen sei. Entsprechend müsse das Rechtssystem dringend ergänzt werden, so unterstreicht Claudio Knüsli, Basler Mediziner, Mitorganisator des Kongresses und Vorstandsmitglied der Ärztinnen und Ärzte für soziale Verantwortung/zur Verhütung des Atomkriegs PSR/IPPNW. Ganz auf dieser Linie erforscht die Rechtsprofessorin Emilie Gaillard das Phänomen Geozid. „Das nukleare Zeitalter markiert eine beispiellose Machtaneignung der Menschheit über die Erde und damit über die Lebensbedingungen allen Lebens inklusive dem Leben künftiger Generationen. Dies ist eine tiefgreifende Metamorphose des menschlichen Handelns, die die Fragen nach Begründung und Zweck des Rechts grundlegend neu stellt.“

Onkologe Knüslis Interesse gilt speziell der ionisierenden Strahlung in niedriger Dosis, wie sie etwa bei Röntgenuntersuchungen, aber auch in Atomkraftwerken anfällt – sei es im Normalbetrieb oder bei nuklearen Unfällen. Zwar stütze sich der Strahlenschutz auf Erkenntnisse amerikanischer Studien mit Überlebenden der Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Bei ihnen wurden erhöhte Risiken für Krebs sowie Herzkreislauferkrankungen beobachtet. Organisationen, die die Atomenergie befürworten, anerkennen jedoch die Schädlichkeit niedriger Strahlendosen bisher nicht. „Dies sind die Dosen, welchen Menschen ausgesetzt sind, die in den verstrahlten Gebieten von Fukushima, Tschernobyl oder in der Umgebung von Uran-Minen leben“, sagt Knüsli.

Die Tricks der Strahlenschutzbehörde
Genau an diesem Punkt kritisiert der Basler Arzt die verbindliche Empfehlung der Internationalen Behörde für Strahlenschutz ICRP von 2007 scharf. Sie hält fest, dass die Auswirkungen von Dosen unter 100 Milisievert (mSv) noch nicht verlässlich erforscht seien. Die ICRP folgere, dass Risiken nicht abgeschätzt werden könnten, wenn man sich auf die Verstrahlung grosser Kollektive mit geringen Strahlendosen abstütze. Konkret moniert Knüsli: „Die Strahlenschutzbehörde spricht der Epidemiologie im Bereiche der niedrigen Strahlendosen die Berechtigung ab.“ Dies sei unverantwortlich, zumal neue wissenschaftliche Studien klar gezeigt hätten, dass bei Mitarbeitern von Atomkraftwerken mit einer Dosis von 20 mSv ein erhöhtes Krebsrisiko besteht. Ebenso wurden bei Kindern bereits im Dosisbereich von 1 mSv pro Jahr ein dosisabhängiges Erkrankungsrisiko für Leukämien und Gehirntumore beobachtet. Damit ist wissenschaftlich begründet, dass eine Revision der geltenden Richtlinien dringlich sei. Nur die behördliche Anerkennung der Schädlichkeit der niedrigen Strahlendosen ermögliche letztlich, dass den Opfern im Uranabergbau, nach Atombombentests und bei Atomkraftwerkunfällen Gerechtigkeit widerfahren kann.

Der Kongress konnte in den Räumlichkeiten der Basler Universität stattfinden. Dies nährt bei den Kongressveranstaltern von der IPPNW die nicht unbegründete Hoffnung, dass ein Brückenschlag zwischen Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen und wissenschaftlicher Verantwortung möglich ist.

Zusammenfassungen sämtlicher Kongress-Beiträge: www.events-swiss-ippnw.org/program

Weiterführende Infos:
www.ialana.de
www.uranium-network.org
www.cidce.org

 

Schreibe einen Kommentar