»Wir hätten ja Platz«

Solidarisch: Jugendliche aus Thun reagieren auf die Tragödie von Lampedusa (Foto: Jonathan Liechti)
Solidarisch: Jugendliche aus Thun reagieren auf die Tragödie von Lampedusa (Foto: Jonathan Liechti)

Jugendliche aus Thun mischen sich in die Politik ein. In einer Petition fordern sie mehr Schutz für Flüchtlinge

von Martina Läubli

»Es braucht Hilfe – sofort!« fordert ein weisses Transparent. Darauf ist ein Boot zu sehen, voller Menschen. Einige schwimmen im Wasser und strecken die Arme nach Hilfe aus. Vor dem Transparent stehen Jugendliche und fragen die Theaterbesucher im Berner Kirchgemeindehaus Johannes: »Haben Sie unsere Petition schon unterschrieben?« Max, Samuel, Lena, Linus, Stefanie und Miriam kommen aus Thun, sind zwischen zehn und fünfzehn Jahren alt – und sie sind empört: »So viel Schlimmes passiert in der Welt, wir verstehen das nicht«, sagen sie gegenüber dem aufbruch. Nach dem katastrophalen Schiffsunglück vor Lampedusa, bei dem mehr als 300 Flüchtlinge ertranken, beschlossen sie zu handeln. Sie wollen sich für Flüchtlinge einsetzen, insbesondere für jene aus Syrien.

Sie habe dann ein bisschen herumtelefoniert und nach Ideen gesucht, was zu tun sei, erzählt Miriam. Da erfuhr sie von den 22 Mädchen aus Rorschach, die sich während des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1942 an den Bundesrat wandten und ihn aufforderten, mehr jüdische Flüchtlinge in die Schweiz aufzunehmen. »Aus diesem Brief ist die Idee zu unserer Petition entstanden«, erklärt die entschlossene 15-Jährige. Sie und ihre Freunde organisierten sich und formulierten eine Petition an Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Darin fordern sie die Wiedereinführung des Botschaftsasyls und die Erhöhung des Kontingents von Flüchtlingen aus Syrien, die hier Asyl erhalten, auf 5000.

Die erste grosse Unterschriftenaktion findet anlässlich eines Theaters zum Leben von Sophie Scholl statt, einer jungen Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime. »Leider gibt es Verfolgung und Diskriminierung noch heute.« Die Flüchtlingsdramen an den Grenzen Europas seien eine Schande, finden die Jugendlichen – und »ein Weltthema, das alle betrifft«. Und wie reagieren sie, wenn sie beim Unterschriftensammeln auf Menschen treffen, die von diesem Skandal nichts wissen wollen? »Wir können nichts dafür, dass wir es in der Schweiz so schön haben. Und Menschen in anderen Ländern können nichts dafür, dass es für sie dort so schwierig ist. Deshalb könnten wir hier wirklich mehr tun«, erklären sie entschieden. Als Vorbild nennen sie Schweden: Der skandinavische Staat hat versprochen, pro Woche 2000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Schweden nimmt somit in zweieinhalb Wochen so viele Flüchtlinge auf, wie die Schweiz nach der Meinung der Jugendlichen in drei Jahren aufnehmen sollte. »Klar, in Schweden haben sie viel mehr Platz«, räumt Linus ein. »Aber es geht auch um die Einstellung.«

Die politisch interessierten Jugendlichen haben zum Zeitpunkt des Interviews bereits über 900 Unterschriften gesammelt. So viele wie möglich sollen es bis Ende Jahr sein. Am liebsten würden sie sie Bundesrätin Sommaruga persönlich überreichen. Die jungen Aktivisten haben auch noch andere Ideen, was sie tun könnten: nämlich Flüchtlinge in der Kirche aufnehmen. »Bei uns im Kirchgemeindehaus gibt es viele Räume, die meistens leer stehen. Wir hätten ja Platz«, sagt Miriam lächelnd. »Notfalls würden wir auch unsere Zimmer zur Verfügung stellen.«

Hier kann man die Petition online unterschreiben.

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