«Das letzte Wort gibt es für mich nicht»

Gerda Hauck hat als engagierte Katholikin in Bern vieles in Bewegung gebracht. Das hohe Ross und die Pose sicheren Wissens liegen ihr so fern wie ein gesichertes Verständnis von dem, was gemeinhin als Transzendenz bezeichnet wird

gerda hauck

aufbruch: Gerda Hauck, Sie sind Mitgründerin des Berner Hauses der Religionen – Dialog der Kulturen, das sich als eine wunderbare Erfolgsgeschichte entwickelt hat. Was war für Sie die wichtigste Erfahrung beim Aufbau des Hauses der Religionen?

Gerda Hauck: Dass wir alle Anfänger sind im Lernen, miteinander zu leben und sich wirklich füreinander zu öffnen. Darüber zu reden oder gar darüber zu «quasseln» ist vom Kopf her einfach. Doch sich wirklich im tiefsten Sinn zu öffnen, ist etwas, in dem ich mich immer noch als Anfängerin bezeichnen würde. Ich bin am Üben.

Was braucht es für diese Art des sich Öffnens?

Es ist nötig, sich selbst und den anderen mit seinen Überzeugungen ernst zu nehmen, und zwar selbst dann, wenn weder er noch ich theologisch abgesicherte Aussagen machen können. Der andere muss sich als Mensch ernst genommen fühlen. Dann kann in Gespräch auf Augenhöhe beginnen zum Beispiel zur Frage, was die Verbindung mit Gott für ihn, für mich bedeutet. Bei jeder Einzelfrage vermischt sich immer die kollektive und die individuelle Erfahrungsebene. Deshalb ist zuhören so wichtig, zu versuchen, genau zu zuhören.

Können Sie das mit einem Beispiel konkret veranschaulichen?

Gerade kürzlich hat jemand im Gespräch zu mir gesagt, `Du unterbrichst mich immer` – das passiert mir leider immer wieder. Ich habe mich entschuldigt. Und ich habe bei mir gemerkt: Die recht klischeehaften Argumente des ehemaligen Katholiken waren meine Falle, ich habe nicht richtig zugehört und vorschnell „geantwortet“. Ich habe ihn dann gefragt: Was möchtest du eigentlich? Das kühlte die Gesprächstemperatur wieder runter und wir konnten uns ernstnehmen und das Gespräch vertiefen.

Gerade weil Sie Anfängerin im Lernen sind, stellt sich umso mehr die Frage, wie Sie und das Team es im Haus der Religionen geschafft haben, acht Religionen unter ein Dach zu bringen?

Salopp ausgedrückt: mit Klinken putzen, also mit dem Aufbau persönlicher Beziehungen. Hartmut Haas, die eigentliche Gründerfigur des Hauses der Religionen und Pfarrer der Herrenhuter Brüdergemeine, hat in dieser Hinsicht eine Riesenarbeit geleistet. Gerade in der heissen Konkretisierungsphase war das Weben eines auf Vertrauen basierten Netzes unerlässlich. So ein Netz des Vertrauens kann man nicht von oben her machen oder gar dekretieren, dafür muss man an der eigenen Vertrauenswürdigkeit arbeiten.

Das ist nicht immer leicht mit einer Kirche im Rücken, die derzeit zumindest eher Vertrauen verspielt…

 … stimmt, doch alle Vertreter von Religionen haben eine Geschichte im Rücken, die Licht und blutige Schatten hat. Die Bahai zum Beispiel sind Opfer blutiger Verfolgung. Märtyrergeschichten prägen ihren Weg. Solche Erfahrungen können beflügeln, aber auch bremsend wirken, weil die Verletzungen tief sitzen und dann nur noch als Opfergeschichten im Vordergrund stehen. Das ist bei den Bahai in Bern aber nicht so. Im Gegenteil, in den kritischsten Situationen wirkten sie vorbildlich als Brückenbauer nach vorne in die Zukunft

Ihre Haltung ist geprägt von der Einsicht, dass der innerreligiöse Dialog genauso wichtig ist wie der interreligiöse Dialog. Warum?

Weil es innerhalb jeder Religion ein breites Spektrum von Strömungen mit vielen unterschiedlichen Menschen gibt. Eigentlich ist der innerreligiöse Dialog häufig schwieriger. Der Erwartungsdruck, einen gemeinsamen Nenner zu finden, ist grösser, weil man nominell zusammengehört. Schau ich mir den innerkonfessionellen Dialog bei uns Katholiken an, muss ich sagen: Wir befinden uns unter der Oberfläche in einem archaischen Zustand.

… ein klares Verdikt…

…. Oft zeigen wir auf die Muslime oder auf Freikirchen etwa. Aber wenn wir ehrlich auf uns selbst schauen, müssen wir sagen: So wahnsinnig friedlich geht es in unseren eigenen Reihen auch nicht zu und her. Man wahrt meistens die äusserliche Fassade, aber ein offenes Gespräch, das den anderen wirklich ernst nimmt, ist innerkatholisch ganz schwierig. Es fehlt sehr oft die Demut, dass es nicht um uns geht, sondern dass wir schlussendlich gemeinsame Aufgaben haben, z.B. einzutreten für Nächstenliebe und Gerechtigkeit für alle.

Stichwort katholische Kirche: Trotz des Missbrauchsskandals, trotz der Benachteiligung, der Diskriminierung der Frauen in der Kirche ist für Sie – Sie waren 11 Jahre Kirchenrätin der Gesamtkirchgemeinde Bern – ein Kirchenaustritt keine Option. Warum nicht?

Ich verstehe die sechs bekannten Frauen sehr gut, die um ihrer Glaubwürdigkeit willen der Kirche den Rücken gekehrt haben. Für mich war das ein Schock. Dass ich in der Kirche bleibe, ist ein bewusster Entscheid. Einerseits fühle ich mich in der Kirche mit vielen verbunden, anderseits gibt es noch vieles zu tun, zu dem ich etwas beitragen möchte. Auch wenn ich nicht mehr erleben werde, dass wir mit der Kirche kurz vor dem Paradies stehen, möchte ich die Positionen nicht schwächen, die die Kirche auf ihrem Weg weiterbringen könnten. Dazu gehört klar die Frauenfrage. Bei allem Respekt vor Lehrsätzen und Tradition halte ich nichts von einem duckmäuserischen Respekt vor überholten Lehren. Das Dogma ist wie die Kirche selbst im Wandel. Dabei möchte ich mithelfen. Das finde ich ermutigend und lässt mich hoffen, ohne dass ich auf eine ideale Kirche hoffe.

1 Gedanke zu „«Das letzte Wort gibt es für mich nicht»“

  1. Ich war im Nordosten Brasiliens, als das Haus der Religionen in Bern zum Thema wurde, hatte aber das Glück bei der Einweihng dabei zu sein. In Brasilien erlebte ich die Befreiungstheologie, die mich dem Gespräch des Hauses der Religionen sehr öffnete. Es ist Zeit, mich wieder einmal diesem wunderbaren Projekt zu nähern.Brasilien ist für mich wegen dem Alter Vergangenheit. Ich lebe jetzt in Villars-sur-Glâne.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar