«Der Papst wird belächelt»

Die Kirche braucht Menschen, die sich erlauben, frei und kreativ neue Wege auszuformulieren und mit ihrer Existenz zu betreten, ohne auf die Erlaubnis der Gesamtkirche zu warten, betont der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann

drewemann

aufbruch: Vor zehn Jahren haben Sie im aufbruch erklärt, der Vatikan lehne die Aufklärung ab. Wie beurteilen Sie die Ära von Papst Franziskus?

Eugen Drewermann: Was Papst Franziskus macht, ist persönliches, richtungsweisendes menschliches Engagement. Aber es geht über den Raum der Optionen, der Verkehrsschilder sozusagen, nicht hinaus. Verkehrsschilder sind keine Strassen, die man befahren könnte. Eine der ersten Amtshandlungen von Bergoglio war ein Besuch in Lampedusa, um auf das Flüchtlingsproblem hinzuweisen.  Daraus geworden ist genau nichts. Europa hat die südlichen Länder, vor allem Griechenland und Italien, vollkommen allein gelassen. Sie können den Andrang von Tausenden von Flüchtlingen nicht bewältigen. Jeder weiss das. Selbst das EU-Hilfsprogramm «Mare nostrum» wurde abgebrochen. Stattdessen zahlt die EU heute sehr viel mehr an Frontex, der EU-Organisation, die für das militärische Abfangen von Flüchtlingen im Mittelmeer da ist. So barbarisch ist die Antwort auf das, was Franziskus andeuten wollte. Weiter hat Franziskus darauf hingewiesen, dass man Syrien in Ruhe lassen sollte. Stattdessen sind wir dabei, zwischen Amerika und Russland, zwischen Saudi Arabien und Iran, zwischen der Türkei und der EU Stellvertreterkriege hochzuziehen. Der Papst wird nicht gehört, sondern belächelt, wenn er erklärt, dass der Kapitalismus eine Wirtschaftsform des Todes ist.

Und die Kirche?
Innerhalb der Kirche sind die Botschaften des Papstes noch nicht einmal verbreitet. Nehmen wir zum Beispiel die leidige Frage des Umgangs mit Homosexuellen. Wir hören Franziskus sagen, wer bin ich, Homosexuelle zu verurteilen, wenn Homosexuelle fromm sind und gut leben. Aber bis in die Gegenwart wird gelebte Homosexualität als schwere Sünde gebrandmarkt. Diese Moralauffassung ist nicht vermittelt mit dem, was wir heute naturwissenschaftlich, humanwissenschaftlich, anthropologisch und kulturwissenschaftlich vom Menschen wissen. Das müsste der Vatikan zurücknehmen und sagen, wir haben die Bibel fortgetragen, ohne integrativ den Stand des heutigen Wissens berücksichtigt zu haben. Franziskus ist aber nicht der Mann dafür, den theologischen Kahlschlag unter Johannes-Paul II. zu überwinden.

Trauen Sie Papst Franziskus zu, dass er kirchenrechtlich Pflöcke einschlägt und so über sein Pontifikat hinaus der römisch-katholischen Kirche neue Wege weist?
Franziskus vermeidet zu Recht, denke ich, eine Revolution von oben nach unten. Das würde den alten Fehler des monolithischen Machtzentralismus in Rom nur aufs Neue bestärken. Der Papst hofft, dass von unten etwas nachwachsen könnte. Das müsste allerdings dann auch zugelassen und erlaubt sein. Nur ganz langsam beginnt sich etwas zu rühren, beispielsweise in der leidigen Frage des Priesternachwuchses. Die katholische Kirche bräuchte dringend Menschen, die nicht sechs Jahre Theologie studiert und sich an die Zölibatsforderung angepasst haben, sondern die gelernt hätten, Fühlen und Denken zusammenzubringen, Lieben und Begehren in ihrem Herzen vereinigen, die sich erlauben, durch die Freiheit des eigenen Denkens kreativ neue Wege auszuformulieren und mit ihrer eigenen Existenz zu betreten, ohne die Erlaubnis vom Gesamtverband der Kirche abzuwarten. Die Frage ist nicht, was macht ein Papst in Rom, sondern was machen wir selber. Nur dafür sind wir zuständig. Eine Freiheit, die erst existiert, wenn sie quasi von oben erlaubt ist, verdient den Namen Freiheit nicht.

Wie können wir heute leben in einer Weise, die die Aufspaltungen zwischen Körper und Seele, zwischen Fühlen und Denken überwindet?
Im Abendland haben wir lange ein Weltbild gepflegt, dass die Seele gegen den Körper betont. Heute erleben wir umgekehrt, dass die Seele wie eine überflüssige Hypothese zugunsten einer rein materialistischen Betrachtung als inexistent aus unserem Blickfeld gestrichen wird. In Wahrheit sprechen wir von Seele als das, was sich subjektiv im eigenen Sinnentwurf, in persönlich gelebter Freiheit buchstäblich bis in die Fingerspitzen hinein regt und mitteilt. Das Ringen um die Einheit der persönlichen Identität lässt sich im Grunde nur beantworten durch eine begleitende, nicht wertende, sondern zustimmende Erfahrung der Begegnung, die rückgängig macht, was mit dem Diktat von aussen an entfremdenden Erwartungen und Leistungsauflagen in den betreffenden Menschen hineingelegt worden ist.

Wie können wir dem Gegensatz von Denken und Fühlen begegnen?
An jeder Stelle erleben wir beinahe die Pflicht, uns zweckrationalem Denken zu fügen, das das Fühlen ausklammert als etwas Hinderliches. Aber im Fühlen sind unsere Rezeptoren angesiedelt, die die Folgen unserer Gedanken, unserer Taten an uns selber zurückmelden. Unser Fühlen ist ein ganz wichtiges Korrektiv, zu sehen und zu empfinden, was wir tun. Politische Entscheidungen treffen wir wesentlich nach quantitativem Massstab, als wären die Menschen beispielsweise in der Flüchtlingsfrage vernachlässigbare Grössen. Würden wir fühlen, was es bedeutet, Familien auseinanderzureissen und Menschen, die aus Verzweiflung unendliches Leid auf sich genommen haben, wieder in die Verzweiflung zurück zu schicken, könnten wir weitere militärische gesicherte Abriegelungen und rechtliche Grenzwälle in und um Europa mit dem Risiko hoher Opferzahlen gar nicht machen.

Tragen die Religionen faktisch heute dazu bei, Humanität zum Durchbruch zu verhelfen?
In den Zeitungen wird täglich vor fremden Religionen gewarnt, insbesondere undifferenziert vor dem Islam. Demgegenüber verteidigen wir das abendländische Weltbild und bedenken nicht, dass allein dieses Weltbild endlose Kriege, Kolonialismus, Sklaverei und globale Ausbeutung bis heute in die Welt trägt. Ein Problem liegt darin, dass sich jede religiöse Form in begrenzten Kulturräumen entwickelt hat, das heisst unter endlichen Bedingungen, in denen der Spiegel des Unendlichen hineingetragen werden sollte. Aber die Rahmenbedingungen der Kulturen haben selbstverständlich in die Vorstellungsformen, die Redeweisen und Kulttraditionen früherer und heutiger Religionsformen Eingang gefunden. Demgegenüber stehen wir heute unter dem tsunamiartigen Druck eines Wirtschaftssystems, das sich vollkommen materialistisch und in einer unglaublichen Dynamik an jeder Stelle der Welt zum Massstab der Wertschätzungen und Lebensformen erhebt. Das führt dazu, dass sich die jeweiligen Kulturräume inklusive ihrer Religionsformen zutiefst verunsichert fühlen. Sie müssen sich darum auf die Suche nach ihrer Integrität (Identität?) machen, was wiederum nicht gerade förderlich für die Religionen ist, um sich nach aussen hin öffnen zu können. Paradoxerweise ist deswegen die Bewegung, die auf die eine Welt zuläuft, in Gefahr.

Sieht man die vielen Initiativen, bei denen Religion Mitmenschlichkeit prägt, steht es um die Entwicklung eines undogmatischen, praktischen Christentums nicht so schlecht. Theologen wie Hubertus Lutterbach sagen, nicht Glaube, sondern das Tun des Glaubens ist entscheidend. Wie sehen Sie das?
Natürlich ist die lebendige, existentielle Erfahrung das Wesentliche. Anderseits kann man nur richtig leben, wenn man in etwa geistig in Übereinstimmung ist mit dem, was man fühlt und sich umgekehrt das Gefühl vor dem Denken rechtfertigen lässt. Das Kirchenasyl beispielsweise greift etwas absolut Berechtigtes auf: wir Menschen können nur leben, wenn es trotz harter Zeiten Orte gibt, in denen wir uns unbedingt zum Leben zugelassen fühlen können. Dies entgegen jeder Verweigerung gerade dem Schuldig-Gewordenen gegenüber, dem Hilfsbedürftigen und Kranken, dem sozial am Rande stehenden gegenüber. Die Botschaft Jesu besteht im Grunde in der Evidenz, so miteinander umgehen zu müssen, wenn man irgendetwas von Gott begreifen möchte. Die Kirchen müssten in Kriegssituationen wie in Syrien, Afghanistan nicht nur mitleidig den Tropfen auf den heissen Stein giessen und Nothilfe leisten. Sie müssen vielmehr die politische Struktur im Ganzen in Frage stellen. Es ist nicht mehr als eine Ausrede, wenn die Kirchen sagen, sie bekämpften die Flüchtlingsursachen. Wo tun sie das denn? Wir dichten die Grenzen ab. Mehr tun wir nicht.

Wie kann Religion heute zukunftsfähig sein?
Das Reden von Gott müsste den Händen der rationalisierenden und abgrenzenden Dogmatiken entzogen werden. Mit dem theologisch überlieferten Korpus der Bibel oder dem Koran können augenblicklich Religionskriege vom Zaun gebrochen werden. Demgegenüber ist Gott die Person, die zu allen Zeiten zu allen Menschen redet und die notwendig ist, um Zuwendung, Berechtigung, Güte, Liebe gegen alle Widersprüche inmitten dieser Welt zu erfahren. Reden wir in Bildern, so wie Jesus in Gleichnissen von Gott gesprochen hat, würden alle zeitlichen und kulturellen Grenzen überschritten werden können. Eine Einheit von Denken und Fühlen im Raum der Frömmigkeit wäre identisch damit, dass wir lernen, von Gott so zu sprechen, wie es die Dichter, die Musiker, die Maler zu allen Zeiten tun. Es wäre vollkommen unmöglich, die Wahrheit, die darin lebt, auf kriegerische Weise zu verteidigen.

Interview: Wolf Südbeck-Baur

Vortrag von Eugen Drewermann
Mi. 12.09.2018, 19.00 Uhr
Predigerkirche, Totentanz 19, 4056 Basel

Der bekannte deutsche Theologe Eugen Drewermann kommt nach Basel. Er wird am Mittwoch, 12. September, um 19:00 Uhr, in der Predigerkirche (Totentanz) zum Thema „Wie stellt sich die Botschaft Jesu zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen“ referieren. Der Anlass wird gemeinsam durch die Römisch-Katholische und die Christkatholische Kirche des Kantons Basel-Stadt organisiert.

 

2 Gedanken zu „«Der Papst wird belächelt»“

  1. Der Papst hat nur Worte- aber die verfangen nicht. Wir alle hätten gehandelt haben müssen, rundum auf dem Globus-jeder an seinem Platz. Dann hätten wir eine Chance gehabt. Wir brauchen nicht auf das Ende der Welt durch den lieben Gott warten- das kriegen wir schon alleine hin und zwar sehr bald- jedenfalls das Ende der Menschheit. Mit ein bißchen Flüchtlingshilfe ist es nicht getan und auch ein Systemwechsel (wohin?) ist nicht mehr hilfreich,weil zu spät. Bald 9 Milliarden Menschen,alle fortpflanzungsfähig und alle wollen essen, trinken,atmen und tatsächlich wollen sie noch viel mehr. Wovon? Wieviele soll der Globus tragen und ernähren? Sollen Kriege um Äcker und Trinkwasser geführt werden? Was bin ich froh, dass ich schon so alt bin und das vielleicht nicht mehr erleben muß! Aber: gute Worte und vielleicht noch ein Fläschchen Wein aufmachen (und vielleicht noch ein Apfelbäumchen pflanzen) sind weißgott ein besserer Stil als den Konkurrenten zu töten-oder? Ich lächele nicht über den Papst! Ich nehme ihn mir wegen seines Lebensstils zum Vorbild!

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  2. Es wäre ein längst fälliger Schritt, das AT kritischer zu betrachten, genauer, dies nicht mehr als Wort Gottes zu akzeptieren.
    Gerne beziehe ich mich auf den jüdischen Bibelarchäologen Finkelstein. Nicht nur betrachte ich sein Buch „Keine Posaunen vor Jericho“ als Pflichtlektüre aller Theisten, er beweist auch durch seine Friedensarbeit, wie ernst ihm seine Haltung ist.
    Ein wichtiger Brückenbauer, von Zionisten gar nicht geliebt…
    Die Idee eines von Gott auserwählten Volkes, welches angeblich im göttlichen Auftrag das Land anderer Völker raubt, Frauen und Kinder tötet…. Gottes Wort kann das nicht sein!
    Und wir Christen sollten das aber glauben, es ist Zeit, das „ich aber sage euch“ ernst zu nehmen!

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