Ehrlich, persönlich und analytisch klug

Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Buch geht unter die Haut. Dieses Buch ist ehrlich, persönlich und analytisch klug. Besonders stark: der Selbstversuch am Schluss. Publizist Wolfgang Kessler bleibt nicht bei der Beschreibung ökonomischer Holzwege stehen, sondern berichtet von Modellen und Projekten, die der Wachstumswirtschaft, der wachsenden Armut und der Klimakrise gangbare Alternativen entgegensetzen. Das lässt hoffen.

Von Wolf Südbeck-Baur

Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um den Überlegungen und Analysen von Kessler zu folgen. Für ihn ist klar, dass sich eine «differenzierte Nachhaltigkeitsökonomie», die sich genau überlegt, was wir produzieren wollen und welche Produkte wir brauchen, «nicht über den Markt durchsetzen wird, sondern nur dann, wenn die Politik, diese Veränderung mit Förderprogrammen, Regeln, Vorschriften und speziell Steuern tatkräftig unterstützt. Wachsen,
Verändern und Schrumpfen zugleich bilden die Wege zur Klimawirtschaft», ist Kessler überzeugt. Wachsen müsse eine klimaverträgliche Energieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Energien. Verändern muss sich eine unbedachte Konsum- und Wegwerfökonomie wie sie Modehäuser oder Elektronikkonzerne befeuern, hin zu einer Kreislaufwirtschaft. Bei diesem zirkulären Geschäftsmodell werden «so gut wie alle Rohstoffe und Materialien nach dem Herstellungsprozess zu Rohwaren für neue Produkte und fliessen zurück in den Produktionskreislauf».

Das Beispiel Amsterdam könnte andere Städte wie Zürich, Bern oder Genf inspirieren. Die holländische Metropole soll bis 2030 «eine Stadt werden, in der es keinen Abfall mehr gibt und alle Materialien wiederverwendet werden». Erste Bauprojekte wie der Circular Pavillon, ein Geschäftsbau einer grossen Bank, wurde «fast vollständig aus wiederverwertbaren Bau- und Dämmungsmaterial errichtet, die beim Abbruch anderer Gebäude frei wurden». Aufs Ganze gesehen können so 900.000 Tonnen Baumaterial jährlich eingespart werden. Das rechnet sich, keine Frage, auch wirtschaftlich. Die Amsterdamer Stadtverwaltung will bis 2030 nur noch «zirkuläre» Produkte kaufen. Ebenso ermutigend: Secondhandplattformen und -geschäfte arbeite im Geist zirkularen Wirtschaftens und verzeichnen Zulauf.

Wolfgang Kessler ist promovierter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler und Publizist. 2021 erhielt er den Walter Dirks Preis für „engagierten Journalismus“. Foto: Wolf Südbeck-Baur

Trotz dieser Entwicklungen weiss der Autor um das Beharrungsvermögen der Wegwerfökonomie. Mit Recht plädiert Kessler darum für die Änderung wirtschaftlicher und technischer Rahmenbedingungen. Besonders wichtig sind technische Vorgaben und finanzielle Anreize, ein Recht auf Reparatur inklusive. So fördert zum Beispiel Schweden Reparaturen, indem der Staat statt der dort üblichen 25 Prozent «nur» 12 Prozent Mehrwertsteuer verlangt und überdies Reparatur-Kosten bis zu 2.600 Euro jährlich steuerlich abgezogen werden können. In Österreich glänzt der Staat mit einem Reparaturbonus von bis zu 200 Euro pro Gerät. Dies alles sind Schritte hin zu einer Kreislaufwirtschaft.

Ob Glokalisierung im Dienst von Klimagerechtigkeit und nachhaltigem Fairhandel, ob ein globales Grundeinkommen gegen die wieder steigende
Armut, ob eine globale Vermögenssteuer oder ein Erbe für alle statt nur der Hälfte der jungen Generation, Wolfgang Kessler zeigt fundierte, engagiert recherchierte Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört. Das leicht verständliche und gut lesbare Buch eignet sich ausgezeichnet als
Anschauungsmaterial für Schule und Bildungseinrichtungen, die in ihrem Umfeld Mut und Aufbrüche für eine lebenswerte Zukunft vermitteln wollen.

Die Einsicht des ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel fasst den Geist dieses sehr lesenswerten Buches zusammen: «Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.»

Wolfgang Kessler, Das Ende des billigen Wohlstands. Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört, Publik-Forum Edition 2023, 125 Seiten, zu beziehen über Best.-Nr. 3231 beim publik-forum.de/shop

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