Feinsinnig-poetische Ökoparabel aus Japan: Evil does not exist

Baumkronen, die sich wie ein Gemälde über den Winterhimmel ziehen, Äste, Zweige und Musik. Es ist ein ruhiger, besinnlicher Einstieg, mit dem der Oscar-prämierte Regisseur Ryusuke Hamaguchi sein Publikum mitnimmt nach Mizubiki, einen kleinen Ort vor den Toren Tokios. Ein Einstieg, der sich Zeit nimmt. Zeit, genau hinzusehen, achtsam zu sein und sich von den Klängen der Komponistin Eiko Ishibashi ebenso leiten zu lassen wie von den ästhetischen Bildern des Films.

Eine Filmkritik von Anna K. Flamm

Sie führen die Zuschauenden in den Schnee. Hier streunt das junge Mädchen Hana im Wald umher, ehe die Ruhe jäh durchbrochen wird: Eine Kettensäge schafft sich durch einen Baumstamm. Takumi, Hanas alleinerziehender Vater, nutzt sie, um Feuerholz vorzubereiten. Die Beiden führen ein bescheidenes Leben im Einklang mit der Natur und schätzen ihre Abgeschiedenheit. Wasser aus einem rauschenden Bach schöpfen, Tierspuren folgen und sich über wilden Wasabi freuen gehört hier ebenso zum Alltag wie Stille und Zeit, sich mit der eigenen Umgebung auseinanderzusetzen. Dieses friedliche Idyll wird allerdings gestört, als zwei Mitarbeitende eines Unternehmens aus Tokio Pläne zum Bau einer Glamping-Anlage in unmittelbarer Nähe vorstellen. Schnell wird klar, dass der Luxus-Campingplatz radikale Folgen für das Leben der Dorfbewohner von Mizubiki mit sich brächte, denn der verheerender Eingriff in die Natur würde Ressourcen und Lebensgrundlagen zerstören. 

«Wann immer der Mensch in die Natur eingreift, zerstört er sie», meint Hamaguchi. «Das ist Teil unserer Lebensführung und wir können es nicht vermeiden. Die Frage ist, wie wir es regulieren können. Dazu brauchen wir den Dialog, dem die Gesellschaft nicht mehr viel Bedeutung beimisst.»  Mit seinem subtil und doch präzise erzählten „Evil does not exist“ zeigt er das Potential solcher Dialoge ebenso auf wie Probleme, die sich in der Kommunikation ergeben, gerade dann, wenn Stadt und Land in ihrer Differenz aufeinanderprallen. 

Ansprechend für Augen und Ohren

Auf poetische Weise nimmt der Film Zuschauende über raffiniert anmutige Kameraeinstellungen, authentische Soundkulissen und eindrückliche, klagend symphonische Klangteppiche mit hinein in die komplexe Beziehung zwischen Mensch und Natur. Ryusuke Hamaguchi schafft ein ökologisches Kino, das eine faszinierend fremdartige Zeit- und Raumwahrnehmung atmet und mit seinen langen Einstellungen und bedächtigen Kameraschwenks immer wieder zur Geduldsprobe wird. Zwischen Alltagsmelancholie und innerer Ruhe folgt der Film dabei einem ganz besonderen Rhythmus. In ihm finden Fortschritt und stetige Wiederholung, Stille und Lärm, Abgeschiedenheit und Dialog einen Platz und schaffen so eine stimmungsvolle Atmosphäre. Aus einer kleinen Besetzung, sparsam dosierten Gesprächen und einem sicheren Blick für Unscheinbares entsteht Raum für die Natur. Raum, der zum Denken anregt und einen begleitet. Auch dann noch, wenn es Nacht wird über den Baumkronen, wenn schweres Atmen und das Knirschen des Schnees verstummen und der letzte Ton der eindrücklichen Musik ausklingt.

Der feinsinnige Spielfilm „Evil does not exist“ ist ab dem 11. April in den Kinos der Deutschschweiz zu sehen, unter anderem im:

kult.kino in Basel
Odeon in Brugg
Cameo in Winterthur
Riff Raff in Zürich
Cinema Luna in Frauenfeld
Kino Rex in Bern
Orient in Wettingen
Canva in Solothurn

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