Die Macht der Gewaltlosigkeit

Wer Frieden will, rüstet sich für den Krieg?

Vor 40 Jahren, 1984, veröffentlichte Gernot Jochheim das Buch „Die gewaltfreie Aktion, Idee und Methoden, Vorbilder und Wirkungen”. (1)

Von Heinrich Frei

Diese Dokumentation Jochheims ist aktueller denn je. Angesichts des Krieges in der Ukraine ist heute die Meinung weit verbreitet, es müsse noch mehr aufgerüstet werden, um den Frieden zu sichern. Dazu gebe es keine Alternative. „Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg“, kriegstüchtig sollen die Deutschen wieder werden, wird gefordert. Wer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist und Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland fordert, um das Blutbad zu beenden, wird heute oft beschimpft. Papst Franziskus wurde als inkompetent erklärt, als er kürzlich die Ukraine aufforderte, Verhandlungen mit Russland zu suchen, um das Sterben zu beenden. Zu erwähnen ist: Der Krieg in der Ukraine hätte durch Verhandlungen schon 2022 gestoppt werden können. (2)

Das Buch von Gernot Jochheim ist in drei Abschnitte gegliedert: erster Teil „Die Gewaltfreiheit als Gegenmacht, zweiter Teil „Aktionsmethoden der Gewaltfreiheit“, dritter Teil „Die Wirkungsmechanismen der gewaltfreien Aktion“.

Ohne Gewalt politische und gesellschaftliche Veränderungen erreichen

Gewaltfreie Aktionen beruhen auf einem positiven Menschenbild. Man geht davon aus, dass Menschen lernfähig und einsichtig sind. Um politische und gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, sind gewaltfreie Aktionen gemäss Überzeugung des Autors erfolgreicher als gewaltsames Vorgehen mit Waffengewalt. Die Arbeiterbewegung, die internationale Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung haben mit gewaltlosen Aktionen viel erreicht. Unter anderen sind Henry David Thoreau, Leo Tolstoi, Mahatma Gandhi, Louis Lecoin, Max Dätwyler, Martin Luther King, Danilo Dolci, Gene Sharp und Theodor Ebert Vorbilder und Experten dieser Bewegung.

Was bedeutet gewaltfrei?

Gewaltfrei bedeutet, dass die Menschen, die Aktionen dieser Art befürworten und durchführen, alle Verhaltensweisen vermeiden, bei denen Schäden entstehen, die nicht wieder rückgängig zu machen sind.

Winterthur (Schweiz), 1981 Menschenteppich gegen Waffenschau „Wer über uns geht, geht auch über Leichen“

Ueli Wildberger war an der Organisation dieses Menschenteppiches in Winterthur beteiligt wie an vielen anderen gewaltlosen Aktionen. Wildberger war auch Gründungsmitglied der Peace Brigades.

Gewaltlosigkeit: Kein Verzicht im Kampf gegen das Böse

„Gewaltlosigkeit bedeutet nicht Verzicht auf einen wirksamen Kampf gegen die Bosheit“, sagte Mahatma Gandhi. „Im Gegenteil. Der gewaltlose Kampf gegen das Böse wie ich ihn meine, ist wirkungsvoller und echter als Wiedervergeltung, die ja ihrer Natur nach das Böse nur noch vermehren. Ich trachte danach, die Schneide am Schwert des Tyrannen völlig stumpf zu machen nicht dadurch, dass ich ein schärferes Schwert dagegensetze, sondern, dass ich seine Hoffnung auf meinen physischen Widerstand enttäusche.“

Zu erinnern ist: Viele weltpolitische Ereignisse fanden nach 1984 statt, nach dem Erscheinen des Buches „Die gewaltfreie Aktion“. Der friedliche Umbruch oder die Revolution in Mittel- und Osteuropa wurde erst 1989 eingeleitet, die Auflösung der Sowjetunion, der Fall der Berliner Mauer. Die Apartheid, die Rassentrennungspolitik in Südafrika wurde im März 1992 aufgehoben. Diese einschneidenden Veränderungen erfolgten ohne zerstörerische Kriege. Die Sichtweise, ein Regime der Diktatur und der Unterdrückung zu überwinden, sei nur mit Gewalt möglich, stellte der friedliche Umbruch in Osteuropa und der Fall der Berliner Mauer in Frage.

Die Abschaffung des Krieges, von Atomwaffen, gerechtere Wirtschaftsbeziehungen: Diese Ziele können nicht mit Gewalt erreicht werden.

Ueli Wildberger (1945 – 2023) (3) (4)

Fußnoten
(1) Gernot Jochheim – Wikipedia
(2) Wer hat die „Friedensordnung“ zerstört? https://www.nachdenkseiten.de/?p=99029
(3) PBI-Gründungsmitglied Ueli Wildberger ist gestorben | PBI Schweiz (peacebrigades.ch)
(4) Zum Tod von Ueli Wildberger | Internationaler Versöhnungsbund (versoehnungsbund.de)

6 Gedanken zu „Die Macht der Gewaltlosigkeit“

  1. Hinzufügen möchte ich, dass die erste Weisung der „Erklärung zum Weltethos“ lautet: Hab Ehrfurcht vor dem Leben. Gewalt darf nie ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Die Erklärung wurde 1993 vom Parlament der Weltreligionen in Chicago in Anwesenheit von 7.000 Personen feierlich verkündet, nachdem der Council des Parlaments, der aus 200 religiösen Führern besteht, sie unterzeichnet hatte. Sie enthält die 5 wichtigsten ethischen Prinzipien, in denen weltweit religiöse und säkulare Traditionen übereinstimmen, und ist die Grundcharta unserer Bewegung

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  2. Ja, es ist sehr ehrenhaft, für pazifistische Ziele zu werben.c^Die meisten Menschen auf der Welt wollen nur eines: in Frieden leben.
    Aber es gibt zumindest eine Person, die diesen Friedenswillen nicht teilt : und das ist Putin, ein grausamer Despot und Menschenschlächter, der seinem deutschen Vorbild aus dem 20. Jahrhundert nacheifert

    Auch in den 30-iger Jahren des letzten Jahrhunderts ist versucht worden, den Holocaust-Verursacher und Europazerstörer durch Friedenssignale zum Verzicht seiner Gewaltpolitik zu bewegen: damals nannte man diese Versuche Appeasement-Politik.
    Wohin diese „Friedenspolitik“ geführt hat, davon kann ein jeder in der Weltbibliothek des gesamten Erdkreises sich umfangreich kundig machen.

    Wer Diktatoren und Autokraten meint, mit Friedenstauben und Zugeständnissen bei dessen Territorialforderungen besänftigen zu können, ist ein blauäugiger Utopist. Erst der massive Einsatz von Waffen von Amerika und der damaligen Sowjetunion hat die Bestie Hitler stoppen können. Und genau so wird es bei Putin sein müssen. Putin ist ein Menschenverachter und ein brutaler Zerstörer der europ. Nachkriegsordnung. Er lässt zig-Tausende Menschen in der Ukraine abschlachten (vgl. Butscha) und greift mit immer brutaleren Mitteln die Zivilbevölkerung an. Sein Ziel ist klar: Er will die Ukraine-Unterstützer spalten und deren Waffenunterstützung zum Erliegen bringen.

    Die Folge wäre: Der nächste Feind Putins wären die baltischen Staaten und weitere Staaten Osteuropas. Wer diese Zusammenhänge leugnet, ist eben ein Utopist (vgl. Chamberlain und seine Appeasement-Politik). Diktatoren kennen eben keinen Sättigungsgrad; ihre Gier nach Landgewinn und Vermehrung ihrer Macht und Herrschaft sind niemals zu befriedigen. Diktatoren brechen Verträge (vgl. den von Russland unterschriebenen Budapester Vertrag vom 5.12.1994, der eine Abgabe aller Atomwaffen seitens der Ukraine und eine Garantieerklärung Russlands für die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine vorsah; die Liste der Vertragsverletzung von Seiten Putins ließe sich beliebig fortsetzen.

    Fazit: Potentaten vom Schlage eines Putin lassen sich durch eine noch so gut gemeinte Friedenspolitik nicht beeindrucken. Vielleicht werden alle Pazifisten erst dann erwachen, wenn die russischen Truppen erneut vor Berlin und weiteren europ. Hauptstädten stehen. Das einzige Mittel ist der Aufbau von Entschlossenheit und Geschlossenheit seitens aller an Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit interessierter Staaten, die zu einer weitgehenden Isolation des grausamen Menschenschlächters Putin führen. Ja, und dazu eine massive Aufrüstung militärischer Art und eine uneingeschränkte militärische Unterstützung eines grundlos angegriffenen, friedlichen europ. Staates.

    Paul Haverkamp, Lingen

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    • Man muss auch daran erinnern, dass Hitler mit Hilfe der USA und anderer Unterstützern an die Macht gekommen ist, auch durch reiche Leute in der Schweiz. Hitler war willkommen als Mann gegen den Kommunismus, der die Enteignung der Kapitalisten verhindern konnte. Hitlers Aufrüstung wurde auch noch während dem 2. Weltkrieg von US-Konzerne unterstützt. Ohne diese Unterstützung hätte Hitler nicht Krieg führen können. Bis zuletzt wurde ihm auch erlaubt, Erdöl von US-Konzernen zu beziehen – bis 1945. Da Deutschland über keine Ölvorkommen verfügte, hätten die deutschen Panzer ohne US-Öl weder in Polen noch in die die Sowjetunion eindringen können. Falls man Hitler 1933 oder schon vorher boykottiert und nicht finanziert hätte, wäre es nicht zur Katastrophe gekommen.

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  3. Danke für dieses eindrückliche Memorandum. Ueli Wildberger gehört für mich zu den eindrücklichsten Weggenossen. Ich habe ihn im Zusammenhang des Aufbaus des solinetz in Zürich kennengelernt. Er gehört zu den politischen Theologen, welche die Gewaltlosigkeit sehr durchdacht eingesetzt hat. Danke, dass der aufbruch ihn ehrt.

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  4. Frieden ist absolut das oberste Ziel. Gewaltlosigkeit der gangbare Weg dazu. Aber man muss ganz klar sagen: „den jetztigen Krieg in der Ukraine, hat der Russe unter der Federführung Putins begonnen“. Er hat auch jederzeit die Macht, den Krieg zu beenden.
    Putin hat ja aber jetzt, zusammen mit dem russischen Kirchenfürsten – den heiligen Krieg ausgerufen. Was hat der Kirchen – Konzernchef in Rom dazu gesagt ? Bis heute Nix. Absolut Nix. Es obläge ja alle den weltlichen Kirchenfürsten – ihre Macht zur Gewaltlosigkeit -zu Frieden – zu Nutzen. Aber die haben Alle nicht mal den Mut, ein Zeichen zu setzen. Und die Völker aufzurufen, zu Millionen nach Moskau zu reisen und Putins Hauptstadt so lahm zulegen. Und damit Putin gewaltlos zu zwingen, Frieden mit der Ukraine zu machen.

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  5. Zu Beginn des Krieges schlug ich in meinem Kirchenblog (unter kath.ch) gewaltfreie Aktionen als Alternative zu einem Krieg vor, der Abertausendfach Tod und Elend bringt sowie ein Land zerstört. Ich wurde als naiv belächelt.

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