Alois Odermatt, Historiker und Theologe, bricht eine Lanze für das ursprüngliche Verständnis des Brotbrechens und damit für die Eucharistie als eine offene Mahlgemeinschaft ohne Grenzen.
Von Alois Odermatt
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Das Zitat unter der Darstellung des frühchristlichen Brotbrechens in der griechischen Kapelle der Priscillakatakomben in Rom publizierte der Grazer Bibeltheologe Peter Trummer kürzlich in der Zeitschrift Christ in der Gegenwart unter der Titelfrage: «Gastfreundschaft oder Messopfer?». Corona habe unseren Sinn geschärft für Grundfragen der Liturgie: Wie erfolgt Teilnahme? Was ist nur inszeniert? Unsere Gottesdienstpraxis müsse sich erneuen, indem sie wieder Mass nimmt am Feiern der frühen Christenheit.
«Die Zeit ist überfällig»
Es regnete Reaktionen. Ein Chorsänger schrieb: «Bewegt, mit Staunen und grosser Freude habe ich diesen Beitrag gelesen. Dass ich in hohem Alter diesen Aufbruch, dieses mutige Lebenszeichen noch mitbekomme! Danke!» Ein Pfarrer: «Was da gesagt und angestrebt wird, sind keine Reformen oder Korrekturen an der Kirche und ihrer Liturgie, sondern reiner Kahlschlag. Da wird nicht geheilt oder verbessert, sondern ausgelöscht.» Ein Erwachsenenbildner: «Das ist ein Text, der zielstrebig in die Zukunft weist. So könnte die Kirche wieder ankommen bei den heutigen Menschen.» Ein Pfarrer: «Die Zeit ist überfällig, endlich wenigstens unsere noch gemeindlich sozialisierten Familien zum häuslichen Brotbrechen, zur häuslichen Eucharistie zu ermutigen und anzuleiten.»
Als ich vor Jahrzehnten Theologie studierte, war die Liturgie der frühen Christenheit ein historisches Thema. Wir gingen nicht der pastoralen Frage nach, ob sie Leitbild für heute sein könnte. Das wird nun nachgeholt. Das haben wir soeben auf eindringliche Weise erlebt.
Wir stehen in freundschaftlichem Kontakt mit einer slowakischen Reformgruppe, die aus der Tschechoslowakischen Untergrundkirche herausgewachsen ist und im Jahr 2011 den Preis der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche erhielt. Eine Delegation dieser Gruppe nimmt nun regelmässig an den Preisverleihungen in Luzern teil. Vor einem Jahr erzählte ich ihr von den Vorschlägen von Peter Trummer. Da bat sie mich, darüber an einer Tagung in Bratislava zu referieren. Das geschah im Oktober 2022.
In Referat und Diskussion zeigten sich einige zentrale Überlegungen, die wichtig scheinen und zu schöpferischem Handeln einladen.
Die große Freiheit
Jesus von Nazareth ließ sich mit dem Titel «Meister» ansprechen. Das ist die Übersetzung des hebräischen Wortes «Rabbi» (vgl. Markus 9:5, Johannes 1:28 und 20:16). Das verstehen auch heute alle.
Ein zentrales Anliegen dieses spirituellen Meisters waren seine Mahlgemeinschaften. Damit inszenierte er das «Reich Gottes» ohne Grenzen: weder moralische, soziale noch sonst welche.
Solche Feiern des Brotbrechens können wir auch heute verwirklichen, schlicht und einfach: in Kleingruppen von «zwei oder drei», in Hausgemeinden oder Nachbarschaften, in Kreisen von Pfarreien und geistlichen Gemeinschaften.
Dazu laden wir Gleichgesinnte ein, manchmal bewusst auch Menschen, die anders sind oder anders denken oder die sozial und wirtschaftlich benachteiligt sind. Wir schenken ihnen Anerkennung.
Der Meister lebte und starb für diese radikale Offenheit: Allen gilt die Güte und Liebe Gottes. Das ist, profan gesprochen, auch eine Aussage über die aufbrechende Tiefendimension unserer Wirklichkeit.
Für die Mahlzeit liegt, wie am Mittelmer und im Nahen Osten üblich, von vornherein Brot auf dem Tisch: etwa in Form von Fladen – vielleicht selbstgebacken und kunstvoll geformt und geschmückt.
Die Person, die eingeladen hat, leitet das Brotbrechen. Sie erinnert an den Meister und sagt etwa, was sie persönlich an ihm schätzt und warum er auch heute wichtig ist. Sie nimmt ein Stück Brot und teilt es mit zwei oder drei Nachbarn. Die andern im Kreis brechen und teilen ebenso, ohne Worte.
So sollte es auch heute wieder werden!
Nach meiner Ansicht geht es beim letzten Abendmahl nicht um Messopfer!
Dazu zwei Überlegungen:
1.
Mit Luther vertreten heute viele Theologen die Meinung, dass es nicht um einen beleidigten Gott geht, sondern darum, wie der von Gott getrennte Mensch wieder Zugang gewinnt zu Gott. Somit bringt nicht Gottes Strafbedürfnis Jesu den Tod, sondern die Sünde der Menschen. Der Tod Jesu am Kreuze eröffnet somit den Menschen eine Chance, die verloren gegangene Verbindung zu Gott wieder neu zu knüpfen.
Die mittelalterlichen Vorstellungen eines in Kategorien von Schuld und Sühne agierenden Gottes, der strafen muss, um wieder lieben zu können, wären nicht nur dem Rabbiner Jesus vollkommen fremd geblieben, sondern kommen auch mir entsetzlich fremd und lieblos vor.
Dass Jesus sich selbst als Schlachtopfer für die Sünden der Menschen verstanden hätte ( Joh 3,16 und Röm 8,32 insinuieren eine solche Deutung), wäre mit seinem eigenen Gottesbild unvereinbar gewesen ; genau so unvorstellbar wäre Jesus eine Vorstellung des Essens und Trinkens vom Leib und Blut des Opfers seiner selbst; hinzu kommt, dass Jesus gewiss kein Blut hätte darreichen oder es gar selbst hätte trinken können, und sei es auch nur symbolisch, das noch gar nicht vergossen war.
Die Aussage, dass Jesus „für uns“ gestorben ist, bietet den Menschen eine Möglichkeit, wie sie die von ihnen immer wieder erneut geschaffenen Opfer verringern können, indem sie nach anderen Möglichkeiten von Konfliktlösungsstrategien Ausschau halten als nur über den Weg der Macht, Gewalt, Krieg und der Tötung anderer Menschen. Es gilt die Todesspirale anzuhalten, die wir Menschen immer wieder dadurch in Bewegung setzen, dass wir andere Menschen ausgrenzen, diskriminieren und sie zu Sündenböcken machen. Somit motiviert die Passion Jesu und der Anblick des Gekreuzigten heute dazu, das Leiden der heute Gekreuzigten in den Focus unserer Beobachtung zu holen.
Ein angemessenes Verständnis von „Opfertheologie“ in der Gegenwart sollte nach meiner Ansicht davon ausgehen, dass es nicht darum geht, die Gefahr eines schädigenden Gottes hinwegzuopfern und die Gnade Gottes herbeizuopfern, sondern seinem hilfreichen Dasein Raum zu geben dadurch, dass wir selbst in diesem seinem Dasein für die Menschen mit da sein wollen, uns nicht „verdrücken“, nicht weg sind, wo wir präsent sein müssten.
Indem das Opfer als symbolische Darstellung des Kampfes um Überlebenschancen verstanden wird, eröffnet es Möglichkeiten, diesen Kampf konstruktiv zu beeinflussen – weg von jener Opfer hinnehmenden Haltung, zu einer, die solche Opfer überflüssig machen will durch bewussteres Handeln. Diese Erfahrung der Vermeidung von Opfern können die Menschen nur in einem stets neuen Miteinander machen, indem sie ihre Konflikte aktiv angehen. Zum Beispiel durch zivile Konfliktlösung. Durch schmerzliche Konfrontation ohne den Rückgriff auf Gewalt. Durch entschiedene Anstrengungen gewaltfreier Kommunikation.
2.
Dass bis ins 6. Jahrhundert mit Brot und Fisch – ohne einen Priester – gefeiert wurde und seither bis heute die Amtskirche auf die nach ihrer Ansicht so wichtige Präsenz eines Priesters wert legt, ist in meinen Augen nur der durchsichtige Versuch, eine männerdominierte Kleriker-Machtposition zu perpetuieren.
Der emeritierte Bonner Exeget Martin Ebner sieht im Neuen Testament keine Grundlage für das Priestertum in seiner heutigen Form. Im Interview mit den Österreichischen Kirchenzeitungen betonte der Theologe im April letzten Jahres, dass der Befund der Bibel eindeutig sei: „Für christliche Gemeinden sind Priester nicht vorgesehen. Und zwar nicht deshalb, weil es keine gegeben hätte“, so der Theologe. Zwar seien auch viele Tempelpriester christusgläubig geworden, sie erhielten jedoch keine besonderen Funktionen in den Gemeinden, „und zwar aus prinzipiellen Gründen“, erläutert Ebner: „Denn verschiedene Schriften des Neuen Testaments entwickeln eine Gemeindetheologie, die alles, was zur Zeit Jesu streng an die priesterlichen Opferriten im Tempel gebunden war, in die Hände der Getauften legt.“
Wer der Eucharistie vorstehen solle, werde im Neuen Testament nicht thematisiert. Wichtig sei jedoch, dass alle das Gleiche bekommen und sich gleichwertig behandelt fühlen. Auch die Sündenvergebung sei bereits prinzipiell durch den Tod Jesu bewirkt und wird laut Ebner gemäß den Evangelien von den Glaubenden einander zugesprochen. Damit hebe sich das Christentum gerade vom damaligen jüdischen Tempelpriestertum ab, indem es die Sündenvergebung nicht mehr den damaligen Priestern überlassen und die Vermittlung zwischen Gott und Mensch zur Glaubenssache gemacht habe, die allen offenstehe. „Es ist Gottes Werk, dass er im Tod Jesu einen Weg zu sich selbst gezeigt hat, der ohne Priester, Riten und Tempel auskommt“, so der Theologe.
Es gab es in der Kirchengeschichte in aller Welt immer wieder Zeiten, in denen der Glaube nur durch das Zeugnis von katholischen Laien überlebt hat – wie etwa in Korea, Vietnam oder anderen asiatischen Ländern. Auch heute bestehen katholische Gemeinden in entlegenen Regionen oft fort, weil sie von Laien mit Leben erfüllt werden. Kann man einer Ordensfrau, die in Amazonien Kinder tauft, oder einer Gemeindereferentin, die in einem deutschen Diaspora-Bistum eine Gemeinde leitet, absprechen, dass sie für eine Kirche steht, die im Auftrag Jesu Christi handelt, nur weil kein Priester anwesend ist? Nein, die katholische Kirche vor Ort verwirklicht sich auch ohne die Hilfe eines Klerikers – dazu bedarf es lediglich der Taufgnade, die alle Gläubigen bei der Aufnahme in die Kirche empfangen haben.
Die in den vergangenen Jahrhunderten vorherrschende Fixierung auf den Kleriker als heiligen Mann par excellence hat verdeckt, dass die wichtigste Berufung in der Kirche diejenige zum Christen durch die Taufe ist.
Paul Haverkamp, Lingen
Erfreulich – und irgendwie „schon immer klar“, denn: wo zwei oder drei in Seinem Namen zusammen sind, ist Er mitten unter ihnen . . . .
„Die Person, die eingeladen hat“ handelt in der Nachfolge des „allgemeinen Priestertums“ 😘.
So sei es. Amen
So habe ich in den Coronajahren Anleitungen für zu Hause verfasst und auch selbst mit einer Freundin gefeiert. Es hatsehr gut getan.
Am letzten Montag durfte ich in Niederuzwil ein sehr schönes Beispiel einer Agape in Gemeinschaft einer grossen Trauergemeinde erleben: das Brotbrechen am Altar eingebettet in Segensworte über das Brot auf dem Altar gebrochen wurde – der Segen, welcher über alle Brötchen gesprochen und welche dann beim Ausgang allen Mitfeiernden in die Hand gegeben wurden. Vor der Kirche kamen die Teilnehmen ins Gespräch und kauten miteinander diese Brötchen…