Die Theologische Fakultät der Universität Luzern ehrt die irische Ex-Präsidentin Mary McAleese mit der Ehrendoktorwürde. Die Juristin macht sich wegweisend für die Rechte der Kinder stark – auch in den Reihen der katholischen Kirche. Adrian Loretan, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, gibt im Vorgespräch zum Festvortrag der geehrten Wissenschaftlerin Einblick in die Hintergründe, warum die Wahl auf McAleese fiel.
Adrian Loretan, wie läuft das eigentlich ab, bei einer Ehrenpromotion? Wer hat da mitzureden und wie wird ausgewählt?
Adrian Loretan: Kurz gesagt: Eine Fakultät möchte eine Person von ausserhalb der eigenen Fakultät besonders ehren und deren wissenschaftliche Leistung würdigen. Das Mittel, um diese Anerkennung auszudrücken, ist die Verleihung eines Doktortitels ehrenhalber. Der Prozess selbst besteht darin, dass die promovierten Mitglieder der Fakultätsversammlung über die eingegangenen Vorschläge der Professuren entscheiden.
Wie sind Sie auf Frau Prof. Dr. Mary McAleese gekommen?
Die irische Kollegin hat mit der UN-Kinderrechtskonvention, die vom Heiligen Stuhl ratifiziert wurde und damit über dem Kirchenrecht steht, auf den Machtmissbrauch und den sexuellen Missbrauch kirchenrechtliche Antworten gegeben. Nach ihrer Zeit als irische Staatspräsidentin hat Frau McAleese über das Verhältnis der Kinderrechtskonvention zum kanonischen Recht eine zweite Doktorarbeit an der Päpstlichen Universität Gregoriana geschrieben, die neue Massstäbe im Verhältnis von Menschenrechten und Kirchenrecht setzt.
Was bedeutet die Auszeichnung von Frau McAleese für Ihren Lehrstuhl Kirchenrecht und Staatskirchenrecht?
Die Ehrenpromotion ist für unsere Forschenden eine Ermutigung, sich weiterhin den Fragen der aktuellen Zeit zu widmen. In diesem Jahr werden nebst Frau McAleese auch mehrere von ihnen ausgezeichnet. Unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Dr. Zalman Rothschild in den USA erhält zudem eine Auszeichnung als einer der besten 40 jungen Anwälte des Jahres 2022 durch die Amerikanische Anwaltskammer.
Die Auszeichnung einer herausragenden Rechtswissenschaftlerin wie Mary McAleese ist auch eine Motivation für die Mitglieder des Forschungskolloquiums und die nächste Generation, die in den Startlöchern steht. Sie haben sich den Herausforderungen der normativen Begründungen im Kontext des modernen säkularen Verfassungsrechts zu stellen.
Nicht zuletzt ist die Ehrenpromotion auch ein Zeichen, dass sich die theologische Forschung den schwierigen Themen von Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch nicht verschliesst und sich als Teil der Lösung versteht. Ohne Strukturveränderungen wie die Anerkennung der Rechte der Personen (z.B. Kinderrechte) wird dem Machmissbrauch und der sexuellen Ausbeutung durch Amtsträger nicht begegnet werden können.
Der Vortrag findet am 3. November im Rahmen des Dies Academicus der Universität Luzern statt. Türöffnung im Hörsaal 1 um 17.00 Uhr.
Wird es künftig eine Zusammenarbeit mit Frau McAleese geben?
Die Zusammenarbeit mit der irischen Preisträgerin ist aktuell auf zwei Ebenen geplant: Zum einen wird die Professur den Vortrag, den Prof. Dr. McAleese anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde hält (am 3. November um 17.15 Uhr im Hörsaal 1, mit deutscher Simultanübersetzung), in einem Sammelband veröffentlicht, für den sich die Professur verantwortlich zeichnet. Zum anderen wird die Kollegin bei der Beurteilung eines Forschungsprojektes über die Kinderrechtskonvention beteiligt sein.
Was erwarten Sie von ihrem Vortrag? Können Sie uns einen Vorgeschmack geben?
Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage nach einem Recht auf gewaltfreie Erziehung. Gemeinhin würde man vielleicht sagen: «Eine Ohrfeige hat noch niemandem geschadet.» In ihrem Vortrag geht Prof. Dr. McAleese darauf ein, warum das problematisch ist.
Wenn die gewaltfreie Erziehung als Kinderrecht völkerrechtlich verbindlich ist, dann hat das eine enorme Auswirkung auf die Institutionen der Bildungseinrichtungen, wie Schulen, Universitäten, Kirchen und Religionsgemeinschaften und Familien sowie weitere Einrichtungen, in denen die Kinderrechte gegen Autoritäten (z.B. Lehrer, Professorinnen, Erzieher, Eltern) eingeklagt werden können.
Für wen ist der Vortrag interessant?
Für alle, die mit jungen und alten Menschen zu tun haben. Das Anliegen der Menschenrechte, zu denen auch die Kinderrechte gehören, kann man zusammenfassen mit der Goldenen Regel der Bergpredigt (Mt 7,12): «Was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!»
Der einzelne Mensch soll von anderen so gerecht behandelt werden, wie er es selbst tut. Schon der römische Jurist Ulpian verstand in Anlehnung an Aristoteles Gerechtigkeit darin, jedem sein Recht zu gewähren. Die grosse Leistung der Rechtwissenschaft der Kirche im 12. Jahrhundert war es, die griechische, römische und christlich-jüdische Gerechtigkeitsvorstellung zusammen zu bringen und so die Vorstellung von unverlierbaren Rechten entstehen zu lassen. Diese Fixpunkte sind auch für uns heute entscheidend, um die Rechtskultur des Westens und den Westen als Rechtsgemeinschaft verstehen und weiterdenken zu können (vgl. Beitrag auf feinschwarz.net).
Oft wird die Meinung vertreten, es bräuchte über die allgemeinen Menschenrechte hinaus keine eigenen Kinderrechte. Um zu verstehen, warum das sehr wohl der Fall ist, sollten Sie auf jeden Fall den Vortrag von DDr. (Dr. hc.) Mary McAleese anhören!
Interview: PD Uni Luzern