Ohne Punkt und mit nur wenigen Kommas

Der diesjährige Nobelpreisträger heisst Jon Fosse. Er gilt als einer der bedeutendsten Theaterautoren der Welt. Jon Fosse konvertierte vor gut zehn Jahren zum Katholizismus.

Von Andreas Krummenacher

Der norwegische Autor und Poet Jon Fosse hat vierzig Theaterstücke geschrieben, diese wurden weltweit über tausend Mal aufgeführt. Sein Prosawerk umfasst zahlreiche Romane und Romanserien. Fosse, er ist 64 Jahre alt, wuchs im pietistischen Milieu im norwegischen Westland als «kleiner Leute Kind» auf, wie er sagt.

Jon Fosse gilt als sperriger Autor, seine Texte sind bisweilen schwer zugänglich. Sie sind Rezitation, beinahe Gebet, auf jeden Fall eine Art Meditation. Das aktuelle Projekt «Heptalogie» soll am Schluss sieben Bände umfassen. Die ersten beiden Teile sind in der deutschen Ausgabe unter dem Titel «Der andere Name» erschienen. Er habe beschlossen, so der Autor, nach seinen Theaterstücken nur noch «langsame Prosa» zu verfassen. Sein siebenteiliges Werk ist darum endgültig eine Meditation, soll doch am Ende kein einziger Punkt gesetzt werden. Der Text fliesst in einem endlosen Strom dahin. Hin und wieder gibt es ein Komma.

Fotos: Tom A. Kolstad

Übertritt zum Katholizismus
Schreiben ist für Jon Fosse «ein Mysterium, eine Transzendierung meiner selbst und der materiellen Welt». Es ist ein Geschenk, womöglich des Heiligen Geistes. Das Schreiben habe ihn zu einem religiösen Menschen gemacht, sagte er in einem Interview im Deutschlandfunk Kultur. Meister Eckhart hat es Jon Fosse angetan. Ganz im Stil des grossen Mystikers schreibt Fosse: «Wenn einer begreift, dass er Gott nicht begreifen kann, begreift er ihn.»

Der Protestantismus wollte, so Jon Fosse, die Mystik und die Poesie aus der Kirche und Glauben verschwinden lassen. «Mit dem Ergebnis, dass heute, in unseren aufgeklärten Zeiten kein Mensch mehr buchstäblich glauben kann. Buchstäblich. Man muss in einer allegorischen Weise die Bibel lesen, und den Glauben wie ein Mysterium erleben, nicht als etwas Sachliches, als ein weltliches Faktum. Es ist ein Mysterium nicht eine Art Faktizität.»

Vor gut zehn Jahren wechselte Fosse darum zum Katholizismus. Schon als Teenager war er aus der lutherischen Staatskirche Norwegens ausgetreten und bei den Quäkern gelandet.

Dazu sagt er: «Einerseits schien die Entfernung zwischen den Schweige-Treffen der Quäker – ohne Priester, ohne Sakramente, ohne Liturgie – bis zu dem ‹Theater › der katholischen Kirche ziemlich gross. Andererseits aber nicht – denn im Zentrum des Glaubens der Quäker findet man das, was sie den Gott in einem selbst nennen oder das innere Licht, was, wie die Quäker glauben, das Licht Gottes in einem Menschen ist. Durch die Treffen versucht man der Stille so nah wie möglich zu kommen, dem inneren Licht in einem selbst – und im Anderen natürlich. Und im Katholizismus versucht man Gott durch die Kommunion nahe zu kommen.»

Womit wir wieder bei Meister Eckhart wären. Der Dominikanermönch und Philosoph nannte die Seele das innere Licht, und den Geburtsort Gottes den Seelengrund. Wie ihm kommt es auch Jon Fosse auf die mystische Spiritualität an: «Man kann sich dem Glauben nicht wissenschaftlich nähern. Denn dann existiert Gott nicht. Er ist hinter allem, was existiert. Oder vielleicht ist er auch Teil von Allem, was existiert, aber nicht so, dass man ihn in diesem oder jenem Ding nachweisen kann. Man kann alles, was existiert, wissenschaftlich ergründen. Aber nicht das, was allem, was existiert, gemeinsam ist.»

Einsamkeit
In der Luzerner Zeitung schildert die Journalistin Daniele Muscionico ein Treffen mit Jon Fosse in Norwegen. Der grosse Mann sei ihr gegenüber gesessen, «er schwieg, er trank, er lächelte, er war ungemein freundlich und ungemein leise in allem, was er sagte und tat.» Genauso seien auch seine Texte. «Minimalistisch, reduziert, kurze Dramen über die existenzielle Einsamkeit des Menschen. Dichte, enge Stücke.»

Es ist eine unzeitgemässe Entscheidung, Jon Fosse den Literaturnobelpreis zu verleihen. Er ist das Gegenteil der polarisierten, lauten Gegenwart. Gleichwohl ist es schade, dass dieser stille Mensch nicht öfter einen Punkt setzt.

Romane von Jon Fosse: «Melancholie», «Morgen und Abend», «Das ist Alise», «Trilogie» und das grosse siebenteilige Romanprojekt «Heptalogie», bestehend aus den Bänden «Der andere Name» (2019), «Ich ist ein anderer» (2022) und «Ein neuer Name» (erscheint 2024). Auf Deutsch im Rowohlt-Verlag veröffentlicht.

Dieser Beitrag von Andreas Krummenacher ist erstmals am 6. Oktober im pfarrblatt erschienen.

1 Gedanke zu „Ohne Punkt und mit nur wenigen Kommas“

Schreibe einen Kommentar