Stürmische Zeiten

Die jüdischen Vertreter im IRAS COTIS-Vorstand erklärten ihren Rücktritt und verknüpften ihn mit der Aufforderung an IRAS-Präsidentin und Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin, ihr Amt niederzulegen. Was war passiert?

Von Wolf Südbeck-Baur

Die Tage bei IRAS COTIS, der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz, sind derzeit prall gefüllt mit erhöhtem Gesprächsbedarf. Das Telefon von Geschäftsleiterin Katja Joho macht kaum Pause, seitdem in der Folge eines NZZ-Artikels die beiden jüdischen Vertreter im IRAS-Vorstand ihren Rücktritt erklärten. Sie verknüpften ihn mit der Auforderung an IRAS-Präsidentin und Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin, eine der profliertesten Stimmen im interreligiösen Dialog hierzulande, ihr Amt niederzulegen. Was war passiert?

Die NZZ am Sonntag hatte vor dem Hintergrund des menschenverachtenden Nahostkriegs
unter der unsachgemäss reiserischen Überschrift »Eine Präsidentin, die spaltet« von Lenzins
Mitgliedschaft in der Gesellschaft Schweiz-Palästina GSP berichtet. Weil die GSP in den Augen des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG einseitig israelfeindlich sei und Rifa’at Lenzin keinen Anlass sieht für einen Rückzug weder von ihrem IRAS-Engagement noch von der GSP, nahmen die jüdischen Vertreter im IRAS-Vorstand aus Protest per sofort den Hut.

Einer von ihnen, SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner, hatte gegenüber der Nachrichtenagentur SDA erklärt, für die jüdische Gemeinschaft sei eine »unmissverständliche
Distanzierung von dieser Gewaltorgie und den Tätern« zwingend – gemeint ist der Grossangriff der Hamas am 7. Oktober. Weil Lenzin ihre Mitgliedschaft in der GSP nicht
zurücknehmen wolle, legitimiere sie damit auch die Position und die Aussagen der GSP in
den letzten Wochen.

Rifa’at Lenzin denkt nicht an Rücktritt.
Foto: Christian Urech

Angesichts dieses garstigen Beispiels des zunehmend vergifteten Gesprächsklimas reagiert IRAS-Geschäftsleiterin Katja Joho besonnen. Sie stärkt Lenzin den Rücken und unterstreicht ihr Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit. Sie fördere »konstruktive und ausgewogene Vorstandsarbeit« mit den sehr unterschiedlichen Mitgliedern«, wie Joho auf Anfrage betont. Um den Wirbel zu verdauen, »läuft der interne Dialog«, sagte Katja Joho auf aufbruch-Anfrage. Mit dabei sind auch die Juden. »Die jüdische Vertretung ist bereit, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Der Dialog ist wichtiger denn je, davon sind wir überzeugt.«

Zwischen den Worten der IRAS-Geschäftsleiterin ist die Hoffnung mit Händen zu greifen, dass die laufenden internen Gespräche zu einem guten Ende führen werden und jüdische Vertreter und jüdische Institutionen weiterhin an Bord der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft bleiben.

Dass diese Hoffnung durchaus berechtigt ist, davon zeugt die kleine Wundergeschichte des Zürcher Imam Muris Begovic und Noam Hertig, Rabbiner der Zürcher Israelischen Cultusgemeinde . Wie die Kirchenzeitung reformiert. kürzlich unter der Überschrift »Mitgefühl schafft Vertrauen« berichtet, nahmen sich die beiden Freunde Zeit, »einander zuzuhören, Missverständnisse auszuräumen. Sie hatten den Mut, auszusprechen, was irritiert und ängstigt.« Rabbiner und Imam fanden Worte des Mitgefühls in einer Zeit der Spaltung. Sie zeigten, indem sie das Gespräch wagten, dass Versöhnung möglich ist.

Im Verlauf dieses von der Redaktion reformiert. initiierten Gesprächs sprachen Begovic und
Hertig die heiklen Punkte an. Der Imam bringt zum Ausdruck, was ihn stört. »Menschen, die
wie ich um die zivilen Opfer der israelischen Vergeltung trauern, dürfen nicht in die Nähe der
Hamas gerückt werden.« Empathie relativiert nichts. Hertig sagt: »Ich habe Mitgefühl mit der
Zivilbevölkerung, die in Gaza leidet, das darf man von mir erwarten.« Dabei verschweigt der
Rabbiner nicht, dass sich Jüdinnen und Juden in der Schweiz bedroht fühlen. Ihm würde
deshalb helfen, »wenn sich muslimische Stimmen klar von der Hamas distanzieren würden«.
Es ist nicht auszuschliessen, dass sich diese Erfahrung von Versöhnung bei IRAS COTIS erneut
ereignen kann. Bei Redaktionsschluss liefen die Gespräche noch.

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2 Gedanken zu „Stürmische Zeiten“

  1. Wenn Frau Lenzin folgende zwei Fragen klar bejahen würde, könnte auch die jüdische Seite beruhigt sein:
    Hat der Staat Israel ein Existenzrecht? Und: Ist die Hamas eine Terrororganisation?
    Allein das permanente Infragestellen des Existenzrechts Israels ist antisemitisch. Geschieht das je bei Liechtenstein, Angola, Nicaragua, Kambodscha oder sonst einem der 196 Staaten? Dazu kommen die ideologischen Exzesse an einigen Universitäten die Zionismus, also die Idee eines jüdischen Staates, mit Kolonialismus, Apartheid und Homophobie gleichsetzen, ohne Blick auf den historischen Kontext der Entstehung um 1900 in Europa.
    Wer den Terror der Hamas noch nach dem 7. Oktober 2023 immer noch als „Befreiungskampf“ verharmlost, hat den klerikal-faschistischen Charakter der Hamas nicht begriffen und deren Charta nicht gelesen. Denn die Parole „From the River to the Sea“ transportiert die Idee eines exklusiv muslimischen Staates Palästina, ohne Juden, aber auch ohne Christen etc.. Dass sich ausgerechnet Linke, Kommunisten, Studierende und Regenbogen-Bewegungen mit der Hamas solidarisieren, die Frauen verachtet und Homosexuellen den Tod wünscht, ist und bleibt mir ein Rätsel.
    Ich habe auch aus jüdischer Sicht viel Verständnis für die Sorgen um die Menschen in Gaza und wünsche mir in der Schweiz einen fruchtbaren Dialog mit den muslimischen Gemeinschaften. Dieser ist in dieser angespannten Zeit mehr als nötig. Dennoch erwarte ich auch von muslimischer Seite in der demokratischen Rechtsordnung der Schweiz einige klare Positionierungen, um nicht mit einem mulmigen Gefühl am gleichen Tisch zu sitzen. Dies sind neben den beiden „Ja“ auch die Bereitschaft, den Antisemitismus innerhalb der muslimischen Reihen kritisch zu beleuchten. Bietet hier Frau Lenzin Hand?

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  2. Wieso bitte sollte die Infragestellung des Existenzrechtes Israel antisemitisch sein?
    Israel anerkennt weder das Existenzrecht Palästinas noch der Palästinenser.
    Es ist also eine quid pro quod Situation. Israel muss sich endlich, endlich an internationale Gesetze halten, wir, vor allem die USA müssen es dazu zwingen.
    Die Ideologie des Zionismus ist das Übel in Nahost, alles andere sind Folgen davon.

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