Eintauchen in unterschiedliche Kulturen und Religionen Kleinasiens

Die aufbruch Lesereise führte uns im Oktober in die atemberaubende Landschaft Kappadokiens in Zentralanatolien mit ihren Tuffformationen. Grosse Mystiker wie Rumi und grosse Theologen wie der Apostel Paulus und der Kirchenvater Basilius von Caesarea säumten die Pfade unserer Reiseroute, die in Istanbul ihren Abschluss fand.

Eine kleine Nachlese zur aufbruch-Lesereise 2023 von Wolf Südbeck-Baur

Rumi, Begründer des Sufismus

Die erste Station der aufbruch-Lesereise führte unsere zehnköpfige Reisegruppe – hier mit Scheicha Esin Celebi, 22. Rumi-Nachfolgerin und Vize-Präsidentin der internationalen Mevlana Stiftung, nach Anatolien, genauer nach Konya ins Rumi-Mausoleum. Dschalal ad-Din Muhammad ar-Rumi (1207-1273), der grösste Mystiker des Islam, hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Rumi ist der bekannteste Repräsentant der Sufis. Er wird inzwischen auch in unseren Breiten als der ergreifendste und mitreissendste Verfechter des Weges der Liebe anerkannt. Rumi gilt über alle nationalen, religiösen und kulturellen Grenzen hinweg als sprechender Zeuge göttlicher Identität und Gegenwart. Rumi lebt aus der Gegenwart der Liebe und hegt wie Jesus Verdacht gegenüber jeder Form von Reichtum und Macht. Aus dieser Haltung heraus bejaht Rumi rückhaltlos menschliches Leiden.

Scheicha Esin Celebi drückt das so aus: «Möchten wir jemandem etwas schenken, so suchen wir nach etwas, das ihm oder ihr entspricht, beispielsweise einen roten Kugelschreiber, auch wenn wir selbst den blauen vorziehen würden. Wenn wir so schenken können, wissen wir auch, wie wir lieben können. Erst wenn wir uns selber schätzen und lieben können», fasst Esin Celebi zusammen, «können wir andere schätzen und lieben».

Auf den Spuren des Apostels Paulus

Von Konya floh der Apostel Paulus Richtung Lystra (Bild li). «Hier muss er durchgekommen sein», erklärte Co-Reiseleiter Kenan Canak. Als Paulus und Barnabas in Konya predigten – im Folgenden stütze ich mich im Wesentlichen auf Unterlagen von aufbruch-Ehrenherausgeber Erwin Koller – , gab es einen grossen Konflikt zwischen Judentum und christlichen Gemeinden, in denen Juden und Heiden, also Hellenisten lebten. Hintergrund: In Ikonion, heute Konya, gab es von den Römern anerkannte jüdische Gemeinden, die Privilegien hatten. Zum Beispiel mussten sie keinen Militärdienst leisten oder im Rahmen des Kaiserkults den Göttern der Römer huldigen. Der Monotheismus der Juden war auch für gebildete Hellenisten attraktiv. Allerdings – und das war ein grosses Problem für sie – sie mussten sich beschneiden lassen. Für Juden waren sie nur vollwertige Gemeindemitglieder, wenn sie beschnitten wurden. Die grosse Streitfrage war also: Müssen Christen wie die Juden beschnitten werden? Für den Juden Paulus war die Sache klar: Es genügt, wenn man Jesu Botschaft annimmt, wir wollen den Griechen und Römern und sonstigen Nichtjuden doch nicht das Joch auferlegen, alle jüdischen Gebote und Rituale (‚das Gesetz‘) zu befolgen, wenn sie Christen werden wollen. Diese Haltung wurde vom so genannten Apostelkonzil in Jerusalem 48/49 bestätigt.

Das Alahan-Kloster ist eine frühbyzantinische Ruine aus dem 5. Jahrhundert (Bilder re). Es liegt zauberhaft hoch oben auf den Hügeln der antiken Berglandschaft von Isaurien, einem Teil Kilikiens. Tarsus, der Geburtsort des Apostels Paulus, liegt unweit davon entfernt.

Kappadokien – Feenkamine und Mondlandschaft aus Tuffgestein

Ballonfahren ist in Kappadokien die Attraktion. So schwebten wir schwerelos in der Nähe von Ürgüp über die einzigartig einmalige Landschaft der Feenkamine. Die Landschaft Kappadokiens in Zentralanatolien beeindruckt, die Tuffformationen überwältigen. Vulkanausbrüche und Erosionen haben sich abgewechselt, um diese Formationen zu bilden. Von Nordost nach Südwest verlaufen Bergketten in der Höhe von rund 1500 – 1700 m. Im Miozän – vor 10 bis 20 Mio. Jahren – entstand im Süden Kleinasiens der Taurus, ähnlich wie in Europa die Alpen, mit tiefen Bruchzonen, jähen Schluchten und breiten Tälern.

Versteckte Kirchen in der Ihlaria Schlucht

Die künstlerische Ausgestaltung der Felsenkirchen in Kappadokien reicht vor den Bilderstreit zurück. Beispiele aus dem 5./6. Jahrhundert finden wir in der Ilharia-Schlucht, durch das sich der Fluss Melendiz schlängelt. In Zeiten kriegerischer Bedrohung sucht die christliche Bevölkerung aus der Metropole von Caesarea (heute Kayseri) in den Höhlen der zerklüfteten und abgelegenen Tufftäler Zuflucht. Im Bild sind Malereien in der Yilanli-Felsenkirche in der Ilharia-Schlucht unweit vom Freilichtmuseum Göreme.

Kirchenlehrer Basilius von Caesarea (330-379), heute Kayseri

Nach seinen Studien entschliesst sich Basilius, Mönch zu werden. Er gründet, nachdem er seine Güter verteilt hat, etwa 355 in einem abgeschiedenen Landgut seiner Familie selber ein Kloster. Neu ist, dass Basilius die Mönche nicht nur zu Gebet, Askese und körperlicher Arbeit verpflichtet, sondern parallel dazu auch auf ein intensives Bibelstudium und zur Übernahme sozialer Aufgaben in Krankenpflege und Armenseelsorge. 370 wird Basilius, der tief überzeugt ist vom trinitarischen Bekenntnis, zum neuen Erzbischof von Caesarea ernannt, eine einflussreiche Position nicht nur in Kappadokien, sondern in der ganzen Provinz Pontus: Der Metropolit von Caesarea hat 50 Bischöfe unter sich. Kaiser Valens reist 371 von Konstantinopel nach Antiochia und ist entschlossen, unterwegs alle trinitarischen Bischöfe abzusetzen. Als Vorhut kommt der kaiserliche Präfekt Modestus, der auch Basilius vor die Wahl stellt, abgesetzt zu werden oder sich zum Arianismus zu bekennen. Die Arianer bekennen in Jesus einen herausragenden Menschen, lehnten seine göttliche Natur als Gottes Sohn aber ab. Doch die Argumente des Modestus fruchten nichts. Basilius krönt sein Reformwerk der kappadokischen Kirche mit der Neugestaltung der Liturgie, die bis heute unter dem Namen ‚Liturgie des Basilius‘ in der griechisch-orthodoxen und in der koptischen Kirche gültig ist.

378 stirbt der arianische Kaiser Valens, sein Nachfolger Gratianus ist wieder trinitarisch. So können die verbannten Bischöfe zurückkehren und in Caesarea herrscht wieder Ruhe. Doch schon ein Jahr später stirbt auch Basilius. Sein Tod wird von den Christen, Juden und Heiden betrauert.

Istanbul

Krönender Abschluss der Lesereise ist Istanbul, die circa 20 Millionen Metropole am Bosporus mit ihren berühmten Moscheen, Plätzen und Brücken. Die Silhouette der Blauen Moschee (Bild) steht gleichsam Pate, als wir uns nach dem Besuch auf dem Basar aufmachen zur Schiffstour über den Bosporus mit seiner riesigen Brücke (Bild), die Europa und Asien verbindet. Tags drauf landen wir nach einer kleinen Wanderung durch den alten muslimisch-christlichen Friedhof mit beeindruckenden Grabmälern in der Eyüp Moschee, in deren Innenhof Eyüp, der Bannerträger des Propheten, bestattet ist. Überall beten Pilger:innen umgeben von funkelnden, reichverzierten, blauen Fassaden (Bild).

Ein Besuch der so genannten Ehernen Kirche der bulgarisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft und des einen Steinwurf entfernten Ökumenisch-Orthodoxen Patriarchats – hier hören die Kerzen nicht auf zu brennen (Bild) – runden die sonnigen Tage Istanbul ab. Bei wohlgelaunter Stimmung bescherten feine Istanbuler Restaurants der aufbruch-Reisegruppe bisweilen unbekannte Gast- und Gaumenfreuden.

Hinweis: Auch 2024 ist voraussichtlich Mitte Mai wiederum eine aufbruch-Lesereise nach Zentralanatolien geplant. Das eingespielte Reiseleiter-Team Kenan Canak und Wolf Südbeck-Baur werden den Teilnehmenden Einblicke in die unterschiedlichen Kulturen und Religionen Kleinasiens näherbringen. Mehr Infos dazu sind in der nächsten aufbruch-Ausgabe Nr. 266 Ende Januar 2024 zu finden oder auf aufbruch.ch.

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